W E I S T Ü M E R
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Meiner Schwiegermutter Heide verdanke ich eine wichtige Einsicht.

Personen sind nicht monolithisch beschaffen, hinter den Gesichtern (den physischen und den psychischen) geht es weiter, geht es in die Tiefe, läßt man sich auf eine solche Fahrt ein erweist sich Person - im Psychischen - als fraktales Konstrukt und Widersprüche – auch diametrale - existieren nebeneinander, mehr oder weniger friedlich.

Heide war Künstlerin, was mir zuerst unwahrscheinlich vorkam, weil sie absolut nichts bohemienhaftes an sich hatte. Sie war eine ältere Hausfrau, strikt no-nonsense und entsprach in nichts der Vorstellung die ich mir bis dahin von Künstlern gemacht hatte.

Ihre Begabung schien isoliert in ihrem psychischen Gefüge zu existieren, so weit entfernt von der eigentlichen Heide (eigentliche Heide so wie ich sie mir zurecht gelegt hatte) daß ich manchmal meinte da müsse etwas sein, nicht sie selbst, das durch sie wirkte.

Sie schuf mit einer spürbaren Wütigkeit bis ans Ende ihrer physischen Kräfte, brachte dabei Einiges hervor das mir heute noch wichtig ist. Und das obwohl sie hauptsächlich nichtgegenständliche Werke geschaffen hat.

Durch Heide lernte ich ein lokales Netzwerk von Künstlern kennen. Ich begriff zu meinem Erschrecken daß solche Netzwerke überall in unserer Republik tätig sind, hemmungslos ins Blaue hinein produzieren und dabei Ressourcen jeder Art ins Unbrauchbare transformieren. Mit dem Ziel die freundliche Leere der Wände unserer Wohnungen zu okkupieren.

Ich habe sie hängen sehen, diese Werke (im Haus meiner Schwiegereltern), dreißig Jahre lang! Und mein Mißfallen vom ersten Tag ist nicht gewichen, es hat sich gesteigert.

Aber vielleicht bin ich gemein, ein ungerechter Banause.

Kurz nach der Wende erhielt Heide eine Einladung nach Leisnig, um dort auf der Burg Mildenstein auszustellen. Diese Örtlichkeit liegt im tiefen Sachsen, der nächste größere Ort ist Grimma. In welcher Nähe dieser Ort wiederum liegt weiß ich nicht.

Die Zusammenhänge – weswegen eine lokale Künstlerin aus dem Ruhrgebiet ausgerechnet dort ausstellen mußte – sind mir nie erklärt worden. Es werden die Netzwerke sein, die sich, wie es scheint, sofort nach der Wende ins Beitrittsgebiet ausgedehnt haben.

Und nicht nur Heide sollte ausstellen, eine Künstlerkollegin aus ihrem Bekanntenkreis erhielt ebenfalls Gelegenheit dort ihre Werke zu präsentieren.

Diese Frau gab sich als Konzeptkünstlerin aus.

Ihr Mann, eine viel zu große, unbeholfene, ungefüge Gestalt, war hauptsächlich Journalist, nebenbei aber ebenfalls Künstler. Hochgradig verschossen in seine Frau.

Ich glaube, er zerschnitt Kataloge zu Schnitzeln und klebte diese wieder zusammen.

Wir reisten getrennt an. Ich, meine Frau, unser Kind von Berlin aus.

Meine Schwiegermutter, die andere Künstlerin, deren Mann im Fahrzeug von Heide. Eine Tour von etwa 500 km, bei damals noch unzureichend ausgebauten Straßen.

Für mich fing es sehr gut an. Gleich nach dem Einparken wurde ich auf das Schild aufmerksam.

Es befand sich an einer scheinbar beliebigen Stelle einer Mauer, der Boden davor wies in keiner Weise etwas Auffälliges auf. Unterhalb des Schildes zeigten sich - sah man genau hin - gewisse Unregelmäßigkeiten in/an der Wand. Das sollte sicher die Inschrift sein auf dieses Schild in stimmiger Weise hinwies.

Seit über 20 Jahren dient mir das Foto als mentales Turngerät, wenn ich in Stimmung bin mich psychisch an diesem sächsischen Koan abzuturnen.

Das Photo hat übrigens der Journalistenkünstler auf Befehl von Heide für mich angefertigt.

Die Konzeptkünstlerin hatte soeben (als wir eintrafen) ein Konzeptkunstwerk durchgeführt.

Beim Betreten der Burg sahen wir das Ergebnis.

Es gibt da ein offenes Treppenhaus über vier Etagen.

Die Künstlerin hatte 500 Blatt Papier (DIN A4) durch den Kopierer geschickt um auf das Blatt "FLUGBLATT" zu drucken. Sie warf dann aus der letzten Etage diese 500 (Flug)Blätter in den Schacht des Treppenhauses. (Ließ sie 'fliegen'!)

Wieder mit Vehemenz eine offene Tür eingerannt.

Kaum war diese Kunst zu ihrem Ende gekommen, die Blätter lagen verstreut im Treppenhaus und im weitläufigen Eingangsbereich, meldete sich auch schon der zornige Hausmeister. Was das denn solle und wer nun die Schweinerei wegräumen werde?

Darauf gab es keine Antwort. Das – die Beseitigung - war nicht Teil der Kunst. Einheimische Besucher mischten sich ein es kam zu einem unfrohen Gekreische. Was der Schwachsinn zu bedeuten habe, und diese sinnlose Papierverschwendung!

Auch hierauf wußte die Kunst keine Antwort.

Die Ausstellung selber – der Teil der Konzeptkünstlerin – war konzeptuell nichtig. Sicher hatte diese Frau zuerst beschlossen Künstlerin zu sein, und sich dann die Frage gestellt welche Art von Kunst sie denn nun ausüben sollte.

Kunst, Künstler – Worte wie Malströme.

Jetzt zum Teil wo ich versagt habe:

Es gab zwei Gästebücher – eins für Heide, eins für ihre Kollegin - und da Leisnig im allertiefsten Sachsen liegt hatten sich bisher nur Einheimische dort eingetragen. Nie vorher, nie seither habe ich derart massiven ätzenden Spott angetrieben von vollkommenen Unglauben an Westkunst so konzentriert gesehen. Wunderbar kreative Invektiven gegen die Werke und gegen die Wessis. Ich konnte mich kaum losreißen. Aber (mein Versagen), ich wagte es auch nicht das Buch von seiner Befestigung loszureißen um es meiner Sammlung einzufügen. Darunter leide ich heute noch.

Ja, dann fuhren wir nach Hause.

Hinterher haben wir erfahren daß sich die beiden Künstlerinnen noch prima zerstritten haben, und als der Ehemann sich einmischen wollte, er von Heide gründlich niedergemacht worden ist. So gründlich daß er auf der langen, langen Fahrt ins Ruhrgebiet kein Wort mehr gesprochen hat.

Nachtrag (das Ende der Kunst):

Heide hat ihre Kunstwerke aus Pappe, dünnen Holzleisten und Papierfetzen hergestellt. Worauf sie die Objekte bemalt und mit Bohnerwachs versiegelt hat.

Hört sich vielleicht merkwürdig an, tatsächlich hat sie so einige beeindruckende Werke geschaffen. Wenns jemand wissen will: www.heidereinhardt.de

Heide war ein hochanständige Person und deshalb hatte sie ihre Familie beauftragt ihre Werke nach ihrem Ableben zu verbrennen. Von ihrer Materialität her waren sie dafür ideal geeignet.

Als Heide starb wurde ihrem Wunsch nicht entsprochen. Beim Zusammentragen ihrer Werke stellte sich heraus daß es keine Möglichkeit gab diese vollständig sinnvoll unterzubringen, sie war einfach zu fleißig gewesen. Ihr Mann wollte aus dem geräumigen Haus in eine kleinere Wohnung umziehen und lagerte die nicht anzubringenden Werke einstweilen in zwei größeren Kellerräumen.

Wobei – das möchte ich hier erwähnen – die Heideschen Kunstmenge noch harmlos ist. Ein Künstlerfreund Manfred "Manne" Vogel, für den ein Tag an dem er nicht fünf Werke zusammengekleckselt hatte ein schlechter Tag war, hat seiner Frau 2 Lagerhäuser voll (seiner) Kunst hinterlassen.

Als sich dieser Rest in den Kellerräumen als wirklich unanbringlich herausstellte, kam es zu einer Nachfrage ob man die Verbrennung – ...wir übergeben der reinigenden Flamme... - vielleicht als Kunstaktion in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Unna durchführen könne.

Dieser Nachfrage wurde streng beschieden, sei keinesfalls möglich wegen der Umwelt.

Und schließlich – die Behörde war ja nun informiert – mußte ein Container bestellt werden und die Kunst wurde als Sondermüll entsorgt. Sic transit gloria artis!

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