W E I S T Ü M E R
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Teil 3: Ein Erbstück (Das Pelztierla)

 

Mein Großvater war aus verschiedenen Gründen eine ernste Person. Einer davon war der, denke ich, daß er in seiner Jugend – in der er es immerhin auch einmal in Leuna fast bis vor ein Erschießungskommando gebracht hatte – Vorstellungen entwickelt hatte daß die Gesellschaft zum Besseren hin veränderbar sei und diese Vorstellungen hatten sich durch Faschismus, zweiten Weltkrieg, Nachkriegszeit sich als vollständig illusionär erwiesen.

Seine Frau, meine Großmutter mütterlichseits, die an anderen Stellen hier bereits erwähnt worden ist, war wiederum eine Person von unverwüstlichem Optimismus und äußerst praxisbezogen. So hat sie – nach Ende des 2. Weltkriegs – sich sofort auf die Straßen Kulmbachs begeben um von dort eins der in großen Mengen umherliegenden Exemplare von "Mein Kampf" zu besorgen, da sie vorher wegen Geldmangels nicht in der Lage gewesen war sich eins zu beschaffen.

Sie war nüchtern, um Ausgleich bemüht, freundlich, das Zentrum der Familie.

Dann aber geschah etwas. Ich weiß nicht mehr wie es anfing, ob ich selbst Zeuge des Vortrags war, oder ob meine Mutter – die eine große Darstellerin und Vorstellerin war und ist – den Vortrag ihrer Mutter vermittelte.

Sie erzählte einen Witz, der sie anscheinend vollkommen beeindruckt hatte. Bemerkenswert war aber daß niemand in der Verwandtschaft etwas Witziges an diesem Witz finden konnte. Und nicht nur die Verwandtschaft, niemand sonst konnte über diesen Witz lachen.

Das gilt wenn der Witz so erzählt wird wie er textlich niedergelegt ist, also ohne prosodischen Aufwand.

Jedoch erzählt man den Witz so wie meine Großmutter ihn erzählt hat, oder wie meine Mutter die Inszenierung ihrer Mutter erzählt hat ist er unwiderstehlich.

Eine Ehefrau wünscht sich einen Pelzmantel, tritt auf ihren Gatten zu und sagt sie wünsche sich 'a Pelztierla' (Pelztierchen). Worauf der Mann ihr ein Gewehr in die Hand drückt mit der Aufforderung:

 

"Wennst a Pelztierla willst, do, schieß dir ans" (Wenn du ein Pelztierchen willst, hier, schieß dir eins)


Der Vortrag beginnt damit daß bereits nach den ersten Worten schrillst aufgeheult werden muß. Sodann wird um Fassung gerungen, neu angesetzt, wieder aufgeheult. Andeutungsweise wird vorgeführt wie die Ehefrau ihren Mann umschmeichelt (immer wieder unterbrochen von atemlosen Lachen in den höchsten Registern).

Der unwahrscheinliche Höhepunkt wird erreicht, das Unvorstellbare tritt ein – der Mann begibt sich in die von der Frau angebotene Metonymie. Gibt ihr die Mittel zur Beschaffung des Kleidungsstücks/Tiers in die Hände. Nach dem Klimax des Kreischens, nach dem Herauspressen der Pointe(?), nach der totalen Verausgabung tritt Stille ein. Eine erstaunte Stille weil der Zuhörer versucht sich klar zu machen was er denn eigentlich gehört hat.

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© HeinzMünch/µ