W E I S T Ü M E R
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Teil 2: Der verrückte Professor


2010 – 11 Holzwickede / Berlin

 

In der Welt der Deutschabituraufgaben sagt man das Fernsehen habe aus dem Kreis der Familie einen Halbkreis gemacht. Nun, immerhin einen Halbkreis.

Ich war, bin und ( um SoziSchmidt zu zitieren) werde mir meiner nie sicher (sein), alle Tauchversuche (in mir) um meinen Grund zu finden sind vergebens.

Ich bin aber ziemlich sicher daß ich Fernsehen nicht vertrage. Vielleicht ist es das physikalische Flimmern, das zumindest behaupte ich gerne, wenn ich mich wegen meiner Abneigung Mitbürgern erklären muß. Ich habe auch große Schwierigkeiten Symphonien zu folgen – bin nicht fähig aus dem akustischen Geschehen des Überangebotes der Instrumente ein Ganzes zusammenzuhören. Am liebsten mag ich Werke für Soloinstrumente.

Ich denke bei mir ist die Fähigkeit das rasende Wechselspiel der sogenannten Bildpunkte auf dem Schirm zusammenzublicken nur rudimentär vorhanden, da ich schon Fußballspielen (25[?] Akteure die auf einer großen Fläche hin und her laufen) nicht folgen kann.

Aber vielleicht sind es auch die Inhalte auf dem Bildschirm die ein mentales Flimmern erzeugen die mich als Zuschauer scheitern lassen, vielleicht auch das nicht abweisbare Gefühl daß da irgendwer irgend etwas angefertigt hat und das Angefertigte sich manifestiert nicht als Unterhaltung (also etwas was den Beschauer stützt) sondern als Belastung.

Oder: vielleicht klage ich zuviel (Jede Sonne ist bitter, jeder Mond düster und traurig das Morgenrot), meine Abneigung gegen das Medium ist am Ende nur eine wie man in der alten Stadt am Main sagt 'angenommene Weis'.

Mein Herr Vater sprach von Kino gerne als einer Vorrichtung die den Menschen elektrisch vernarrnhält (im Dialekt für zum Narren halten). Das Fernsehen hielte dann den Menschen elektronisch vernarrn. Und die neuen Medien digital...

Mein Schwiegervater – eine allseits geachtete Person, beruflich auf eine erfolgreiche Laufbahn als Wirtschaftsprüfer zurückblickend, seit Anfang 2010 Witwer, etwa 83 Jahre alt ist den Künsten, edlen Weinen, der gepflegten Lebensart zugetan... und ... dem Tatort.

Ob das eine kulturelle Neuorientierung, seinem neuen Stand als Witwer geschuldet weiß ich nicht.

Daß seit meinem letzten Kontakt mit dem Phänomen Tatort in den achtziger Jahren das deutsche Fernsehen nicht auf diese Sendung hatte verzichten wollen wußte ich. Ich erhielt Andeutungen daß sogar meine oberschlaue älteste Tochter sich diese Sendung ansieht, ein zu enger Bekannter (zwischenzeitlich abgetan) wollte sogar einmal mit meiner Hilfe ein entsprechendes Drehbuch schreiben.

Nähert man sich dem Ruhrgebiet vom Osten her liegt Holzwickede, wo mein Schwiegervater lebt vor dem Ruhrgebiet, also östlich davon. Rechts, also im Norden findet sich Münster.

Tatort ist – meine ich begriffen zu haben - überall. Auch in Münster.

Mein Schwiegervater – ich bin zwischenzeitlich nicht mehr sicher ob ich ihn oder ob er mich genügend kennt trotz der 30 Jahre die wir uns eigentlich kennen – wollte einmal anläßlich eines Besuches uns – mir und meiner Frau - eine große Freude machen. Nämlich uns an einem Tatort – Soko Münster(?) teilhaben zu lassen.

Der großzügige Schnitt und die opulente Einrichtung des Wohnzimmers gestattete mir an diesem Ereignis auf eine Weise teilzunehmen die meiner Veranlagung entgegenkam. Wenn ich schon teilnehmen muß, dann nehme ich gerne bedingt teil.

Ein bequemes Ledersofa welches in größerer Entfernung quer zum Fernsehapparat stand, die Lehne dieses Möbelstücks zwischen mir und dem Schirm ermöglichte mir den bedingten Zugang zum Dargebotenen.

Der war in der Hauptsache ein akustischer, ich lag auf dem Rücken, ich schwang ein in einen flachen Schlaf, tauchte wieder empor, glitt zurück. Manchmal richtete ich mich auf um kurz auf den Schirm zu blicken. Vermied es aber die Brille aufzusetzen.

Es ging um verwickelte Gewalttaten im ländlichen Milieu, man hielt sich in Jagdhütten auf, das Privatleben der Kriminalbeamten wucherte, Kraftfahrzeuge fuhren hin und her, Lokalkolorit wurde deckend mit großen Pinseln aufgetragen. Zum Ende des Beitrags ereilte die Schlimmen das Gerechte. Glaube ich.

Mein Schwiegervater war begeistert. Meine Frau äußerte sich zurückhaltend. Ich sagte – um mich zu erklären – mir fehle halt die entsprechende Begabung und ich ginge davon aus es müßten unentwickelte oder auch abgestorbene Bereiche in meinem psychischen Apparat sein.

Von dem Zeitpunkt an erhielten wir Anrufe (von meinem Schwiegervater) um uns auf Sendungen mit der Soko(?) / Tatort (?) Münster hinzuweisen. Dies obwohl wir ihm seit Jahren klargemacht haben daß wir keinen Fernsehapparat besitzen. Er rief auch dann an wenn diese Sendungen als Wiederholungen im Lokalprogramm von NRW gezeigt wurden, also vom Technischen her in Berlin überhaupt nicht besehbar waren. Ihm hatte es vor allem ein gewisser verrückter Professor angetan, denn ein solcher schien in diesen Sendungen mitzuwirken. In welcher Funktion weiß ich aber nicht.

Während der letzten Wochen habe ich über das Pelztierla (Pelztierchen) nachgedacht. Ob es möglich ist davon zu erzählen und war der Meinung daß es nicht möglich ist. Aber es hat sich etwas geändert.

Am 30.04.2011 bin ich von meinem Schwiegervater telefonisch informiert worden daß es am nächsten Tag – Sonntag, erster Mai - wieder Neues vom verrückten Professor gebe. Ich wußte nicht was ich mit dieser Information anfangen sollte, druckste herum sagte die Strahlung des Fernsehapparats würde mir nicht bekommen, deshalb könne ich mir das nicht anschauen und überhaupt hätten wir keinen Fernsehapparat.

Hätte ich meine Ehefrau informieren müssen? Gut, ich habe es unterlassen, ich nehme an daß ich die Information vergessen habe.

Am Sonntag um 22:00 schlägt das Telefon an. Meine Ehefrau liegt noch in der Badewanne, erwartet aber einen wirklich wichtigen Anruf. Ich nehme den Hörer ab, halte ihn ans Ohr und höre zuerst nichts.

Dann schnauft es, wie wenn mit einer ernsten Atemnot gekämpft wird. Eine Art Wiehern, erneutes Atemholen, wieder wiehert es, darauf atemlos die Worte nein, nein, so was... wiehern, Lachen in hohen und höchsten Registern, und ich weiß da muß etwas geschehen sein, etwas unvorstellbar Lustiges.

Es wiehert wieder, es ist mein Schwiegervater.

Ob wir den verrückten Professor gesehen hätten. Erneutes Lachen, Atemlosigkeit, wieder die Versicherung, das könne doch gar nicht sein, der verrückte Professor. Also so was, so lustig.

Aus einem Impuls heraus frage ich meine in der Badewannen liegende Frau ob sie den Beitrag gesehen hat. Hat sie nicht, teile ich ihrem Vater mit.

Das Gespräch(?) geht weiter, und irgendwann atmet er normal und wir verabschieden uns. Ich bin tief verunsichert. Und ich habe eine Vision: die unerbittliche Produktionsfirma sitzt irgendwo da draußen und plant die nächste Folge der Serie. Ich fühle ich kann nicht entkommen. Uwe Tellkamp hat die Sendung gesehen, ist sprachlos und erhält einen Anruf vom Suhrkampverlag er möge einen Roman schreiben weil der verfilmt werden soll mit dem verrückten Professor in der Hauptrolle.

Die kulturelle Zappelhose schlägt zu!

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