W E I S T Ü M E R
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Die Vernehmung

 

In Kulmbach gab es früher die Hornschuchsche Spinnerei. Herr Hornschuch war ein echter Philanthrop, ein paternalistischer Unternehmer gewesen der wirklich versucht hatte etwas für seine Arbeiter zu tun.

Er ließ Wohnsiedlungen bauen die brauchbare Wohnungen zu bezahlbaren Preisen anboten, und er bestand auch darauf Arbeitsplätze für Behinderte anzubieten, was in den 40er und 50er Jahren etwas Ungewöhnliches war.

Mein Onkel Willi, den ich nicht mehr kennengelernt habe war einer von diesen. Er soll, so erzählt man in Kulmbach-Blaich, der Beste aus der Familie meines Vater gewesen sein, litt unter der hinfallenden Krankheit und bei einem dieser Anfälle – er war gerade dabei Garnreste in einen Wagen zu treten – fiel er auf sein Gesicht und erstickte.

Soeben – spät im Leben – fällt mir auf daß Willi eigentlich Wilhelm geheißen hatte und ich diesen Name als zweiten Vornamen trage.

Der Patriarch Hornschuch versuchte auch das kulturelle Niveau seiner Belegschaft zu heben. Das ging so: der Belegschaft wurden verbilligte Eintrittskarten für Gastspiele angeboten die die Bamberger Bühnen und das Symphonieorchester Hof in einem Kulmbacher Lichtspieltheater durchführten.

Meine Tante (Schwester meines Vaters und von Onkel Willi) war die Bestarbeiterin des Unternehmens (sie war eine der Pionierin des Amphetaminmißbrauchs, ein Medikament das damals in den fünfziger Jahren von Ärzten freigiebig verteilt wurde), was Kultur betraf aber war sie vollständig taub. Auf ihr Deputat wollte sie jedoch nicht verzichten wollte, daher fiel ihrer Schwägerin, meiner Mutter, die immerhin mittlere Reife aufwies, die Pflicht zu, die kulturellen Veranstaltungen wahrzunehmen.

Der Weg von dem Veranstaltungsort nach Kulmbach-Blaich war weit, sicherlich 40 Minuten zu laufen und führte (führt immer noch) durch abgelegene, finstere Gegenden.

Und da geschah es einmal daß beim Durchlaufen des finstersten Abschnitts (rechts Bahngleise, links eine dichte Hecke) schwache Beleuchtung von der Straße her die neben den Bahngleisen entlang lief, ihr eine dunkle Figur in den Weg trat.

Stellte sich in Positur, öffnete den Mantel, erkannte meine Mutter und lief erschrocken davon.

Meine Mutter, dieses Muster an Dezenz und Scheuheit, war mehr als erschrocken, ihre Grundannahme der Mensch als solcher sei anständig, war zerstört.

Der Entblößer war ein entfernter Bekannter meines Vaters (Freiwillige Feuerwehr Blaich).

Von meinem Vater zur Rede gestellt, sagte er, hätte er vorher gewußt daß er bei dem speziellen Einsatz auf seine Frau treffen würde, hätte er niemals...

Mein Vater verpaßte ihm einen Satz heiße Ohren.

Entblößung war damals Offizialdelikt, deshalb mußte meine Mutter als Zeugin bei der Polizei antreten.

Als man bei der Vernehmung zu dem Teil des Vorfalls kam wo es um das sichtbar werden ging wurde meine Mutter bockig. Weil sie, wie bereits erwähnt, scheu war.

Es kam also bei der Zeugenvernehmung zu einer unvorhergesehenen Stockung. Wie gesagt, das waren die fünfziger Jahre, die Polizisten wagten es nicht ein Wort anzubieten mit welchem man die Fehlstelle des Protokolls hätte füllen können. Meine Mutter, denke ich flößte ihnen große Angst ein.

Sie bauten ihr weitläufig umschreibende Brücken, über die sie aber sich weigerte zu gehen.

Beide Seiten wurden zunehmend nervöser und schließlich platzte meine Mutter heraus:

"Er zeigte seine Schand!"

Die Polizisten schauten sich irritiert an, suchten in ihren Blicken den Konsens. Endlich nickten sie sich zu, trugen den Satz ins Protokoll ein, meine Mutter unterschrieb.

Wie man hört wurde dieser Satz bis zum Schluß der Verhandlung gegen den Schuldigen verwendet und dann wurde er wirklich verurteilt, ja, eben, weil er seine Schand gezeigt hatte. Obwohl es Nacht gewesen war, und er eigentlich, hätte er gewußt....

 

Hanni und Nanni jagen den Entblößer

Das die Genetik auch im Abseitigen wirkt hätte ich mir nicht vorstellen können.

Eine Urenkelin meiner Mutter (deren Name aus Datenschutzgründen hier nicht genannt werden kann und darf) wir nennen sie nun deshalb Hanni war zusammen mit ihrer Freundin (auch hier greift der Datenschutz) die deshalb Nanni genannt wird unterwegs um einen Termin wahr zunehmen.

Dieser Weg führte sie durch einen Bereich meiner Geburtsstadt (deren Name aus Datenschutzgründen ebenfalls verschwiegen werden soll) in dem des öfteren ein Entblößer sein schändliches Werk trieb.

Er zeigte – wie meine Mutter es so geschickt formulierte – jüngeren Schulkindern seine Schand.

Hanni und Nanni biegen um eine Ecke und da steht er vor ihnen. Im Arbeitsmodus. Hanni und Nanni die bereits 17 Jahre alt sind müssen lachen. Sie greifen wie das heute selbstverständlich ist zu ihren Smartphones und beginnen die Entblößung filmisch zu dokumentieren.

Da sie aber derart lachen müssen gelingt der Film nicht, er erbringt jede Menge Gewackele und Aufnahmen von Schuhen. Der Entblößer ist irritiert und flieht. Hanni und Nanni begreifen daß sie die lokale Geißel der Sitten – vulgo Sittenstrolch – vor sich haben und setzen ihm nach.

Da – der Strolch hat vorgesorgt. Er zieht aus einem Gebüsch ein vorher breitgestelltes Fluchtfahrzeug – einen Drahtesel – schwingt sich auf diesen und radelt seinen Verfolgerinnen davon.

Mittels des Verbrecheralbums der lokalen Polizei gelingt es aber den Schuldigen dingsfest zu machen. Wieder ist eine Bedrohung beendet worden, Hanni und Nanni erhalten eine Belobigung dafür daß sie in jungen Jahren ihre Bürgerpflicht so glänzend erfüllt haben.

Ich als Großvater bin natürlich mächtig stolz und staune – wegen der Genetik. Was doch den Frauen unserer Großfamilie so alles im Blut liegt.

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