W E I S T Ü M E R
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Die Gefäße

 

In meiner frühen Kinderzeit war ich mürrisch, zänkisch und jähzornig. Deshalb hatten die Kinder der Nachbarschaft mir den Übernamen 'Menschenfresser' verliehen.

Später lernte ich diese düstere Veranlagung hinter einem freundlichen Lächeln zu verbergen.

Meines Jähzorns wegen machten mich meine Spielkameaden zum Akteur eines selbsterfundenen Kinderspiels. Es waren Zeiten der Knappheit deshalb mußte alles verwendet werden, so auch meine Veranlagung. Dieses Spiel hieß 'Der alter Zuber'. Ich war der alte Zuber.

Meine Frau Christiane steht dem Phänomen Kulmbach mit äußerstem Mißtrauen gegenüber, da sie aus dem hochrationalen Ruhrgebiet stammt und Kulmbach, ein hoch irrationaler Ort, sich nicht anders erklären kann als Folge von aggressiv sich schneidenden Wasseradern oder auch Magnetfeldern unbekannter Provenienz. Als ich ihr von dem Spiel erzählte sah sie mich vor sich, ein dickliches, unbeholfenes Kind, die Arme vorgestreckt als würde ich etwas Rundes aber Unsichtbares umfassen, einen imaginären Zuber eben. Einen alten Zuber. Wie sich dies aber in Spielhandlung übersetzen ließ war ihr unvorstellbar.

Tatsächlich war der alte Zuber eine Person, eine schlechtgelaunte, hochaggressive Erscheinung, ein alter Mann, kein Kinderfreund, der keine Hemmungen kannte Kinder die ihn störten zu verprügeln, was auf keine Widerstände der betroffenen Eltern traf, weil es doch die fünfziger Jahre waren.

Unser Spiel ging nun so: man drückte mir einen Stock in die Hand, reizte mich (was nicht schwierig war) worauf ich in Wut geraten versuchen mußte meine Spielkameraden zu verprügeln, was mir nur selten gelang, weil ich nicht besonders beweglich war.

Ein simples Kinderspiel gewiß, aber es läßt sich nicht leugnen daß es durchaus etwas schuldig Abgründiges an sich hatte.

 

Einmal hatten wir Kinder unter Anleitung eines älteren Knaben, Alfons der zudem katholisch war (damals in Kulmbach etwas Bedenkliches,) eine Expedition unternommen mit dem Ziel herauszufinden was sich hinter dem Wald finden ließ. Nach einem Marsch von etwa 1,5 Stunden wich der Wald Feldern, es fand sich ein Dorf.. Die Kinder des Dorfes glotzten uns erschüttert an. (50er-Jahre!) Und Alfons, der vielleicht 8 Jahre alt war, äußerte, um uns jüngeren Kinder die Situation zu erklären, den grandiosen Satz:

"Dörfliche Jugend beim frohen Spiel!"

Ein Satz der sich mir eingebrannt hat und bis heute kann ich mir nicht vorstellen wo Alfons den her hatte.

 

Wie gesagt war in den fünfziger Jahren Unterhaltung ein knappes Gut und mußte von den Menschen denen danach verlangte weitgehend selbst hergestellt werden.

Meine Mutter sang in einem Kirchenchor der versuchte den sonntäglichen Darbietungen in der Kirche ein bescheidenes Sahnehäubchen aufzusetzen, ob dies gelungen ist ist mir nicht mehr erinnerlich.

Mein Mutter war groß darin mit Spitznamen zu hantieren, wobei sie sich manche selbst ausdachte, aber auch durch geschickten Gebrauch bereits Vorhandener solche Übernamen zum verbindlichen Allgemeingut zu machen.

 

Da gab es den 'Wäschzwicker' (Wäscheklammer) eine entfernte Verwandte die als Krankenschwester tätig war. Warum meine Mutter ihr diesen Namen verpaßt hatte habe ich nie erfahren. Die 'Drei-Stockwerks-Trina', eine Sangesschwester, war ungewöhnlich groß. Und ein Kind, das eine Verwandte von Trina unermüdlich lobte und das Lob in dem schönen Satz gipfelte, es sei ein wirklicher Genuß mit dem Kind umzugehen, veranlaßte meine Mutter dafür zu sorgen daß es allgemein nur noch der 'Genuß' genannt wurde.

 

Und dann war da noch der 'Pott'. Der war der Sangesbruder meines Onkels (allerdings in einem weltlichen Gesangverein). Merkwürdigerweise hieß der Pott mit seinem zivilen Namen Zuber. Seine Frau nannte ihn Ad. (von Adolf verkürzt)

Als mein Onkel Jubiläum hatte trat dieser Gesangverein nachts im Hof unseres Hauses zu einem Ständerla (Ständchen) an. Ich hing ich neben meiner Mutter in einem dunklen Fenster, die Gesänge gingen los und bei der beliebten Bergsteigerhymne 'La Montanara' trat Herr Zuber vor um ein Solo abzuliefern. Er legte den Kopf zurück stellte die Augen auf rollen ein, die Stimme zitterte und quäkte und er gab sich alle Mühe um den tiefen Ernst des Bergsteigens zu verdeutlichen. Meine Mutter wiederum hatte Mühe ihr Lachen zu unterdrücken. Damals habe ich gelernt daß die besten Absichten keinen Wall gegen das Verlachtwerden aufbauen.

In Kulmbach und der Umgebung wurde übrigens nicht berggestiegen weil keine geeigneten Berge vorhanden waren.

Herr Zuber, ein guter Bekannter meiner Tante und meines Onkels, verkehrte deshalb häufig bei uns im Haus. Er und seine Frau waren aufgeklärte Modernisten und fuhren bereits Anfang der sechziger Jahre mittel eines Kraftfahrzeugs das sich Arabella nannte nach Italien.

Wie gesagt war Unterhaltung rar. Bis jetzt hatte man in Kulmbach immer nur Bier getrunken, aber die Modernität war nicht aufzuhalten. Es erschienen auf der Bühne trinkbarer Genüsse Modegetränke: Kroatzbeere, Kosakenkaffee, Puschkin.

Winters war Grog angesagt.

Ad Zuber, immer on the crest of the wave, erklärte meiner Mutter wie man Grog anfertigt.


"No Else", sagt er "dann nimmst an Pott…"


Meine Mutter unterbrach ihn und fragte nach Beschaffenheit und Größe des Potts und wunderte sich daß ihr Gegenüber ein Wort für Topf gebrauchte was in Kulmbach wenn auch nicht unbekannt so doch aber in höchstem Maße unüblich war.

Das Gespräch ging etwas hin und her, wie sich hinterher herausstellte aneinander vorbei, eine Größe von einem dreiviertel Liter die genannt wurde, erschien meiner Mutter doch sehr gering und schließlich stellte es sich heraus das die Rede war von dem guten Pott-Rum der als Basisingredienz für einen Grog damals gerade der letzte Schrei der modern trinkenden Bevölkerung war.

Meine Mutter sorgte dafür daß Ad von nun an 'Pott' oder auch 'der Pott' genannt wurde.

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