W E I S T Ü M E R
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W E I S T Ü M E R

In Überschreitungen verwickelt

 

Der Kulmbacher Friedhof. Dort in der Erde verborgen das was vom Übriggebliebenen übriggeblieben ist. Oben stehen Steine die den zum Lesen bereiten einiges zu lesen geben.

In dem Block der für unseren Familienverband zuständig ist liegt auch Anna Still, die Großmutter von Max 'Maxie' Still. Ich glaube – weil Kulmbach vor dem Zustrom von Flüchtlingen nach dem zweiten Weltkrieg ein Hort der Reinheit und des Guten war und Kriminalität ein unbekanntes Phänomen – daß Anna aus dem Sudetenland stammte. War sie die Mutter von Maxie, war sie seine Großmutter, die Zeit, ach, diese große Verwischerin, hat das verwischt.

Ich war damals 12, vielleicht auch 11 und verdiente mein Geld auf ehrliche Weise. Ich trug morgens – von 6:00 bis 7:00 - Brötchen (in Kulmbach 'Labla' genannt) aus. Für die Bäckerei Heisinger, erhielt dafür in der Woche 10,00 DM und eine Tafel Karina Schokolade. Und durfte morgens in die warme, angenehm riechende Backstube eintreten, durfte den stets gut gelaunten Bäcker Fred treffen, durfte meine Fantasien spinnen, wie der jeden Morgen sehr früh - wie mochte das im Winter sein - zu Fuß von seiner Wohnung in der Innenstadt zur Bäckerei lief, allein in der Dunkelheit in den wechselnden Wettern...

War also so ein Morgen, ein leichter Regen, wird Herbst gewesen sein, wie häufig traf ich eine Frau, die ältliche Tochter eines frommen Ehepaars, der Verbitterung und Enttäuschung wie mit Essig ins Gesicht gekleistert waren. Eine Hagestolzin auf dem Weg zur Arbeit. Traf auch – ein wenig später einen jungen Mann, vielleicht zwei, drei Jahre älter als ich - der in hohem Tempo unterwegs war. Das war Maxi Still, ein lokaler bad Boy. Er hatte einen Ruf, weil ich nicht wußte was ich sonst tun sollte grüßte ich, ein wenig ehrerbietig. Maxi beachtete mich nicht, hastete weiter.

Wieder zu Hause trank ich mit meiner Mutter Kaffee. Es läutete. Meine Mutter öffnete die Tür und das stand der Kriminalbeamte Stöcker. Das war unser erstes Treffen.

Mein Onkel – der Mann der Schwester meines Vaters – hatte gerade in der Toilette gesessen die ein Fenster zum Hof hatte. Stöcker hatte sich mit einem Klimmzug an der Fensterbank hochgezogen, sah auf meinen verblüfften Onkel herunter und sagte die denkwürdigen Worte:

 

"Weitermachen! Lassen Sie sich nicht stören!"

 

Was Stöcker denn wolle, wollte meine Mutter wissen.

Ja, sagte er, er müsse mich aufs Revier mitnehmen zu einer Vernehmung, ich sei verdächtig jemanden überfallen zu haben. Meiner Mutter kam das hochgradig absurd vor, weil sie mich für einen durch und durch trägen Charakter hielt der zu solchen Aufwänden technisch überhaupt nicht in der Lage sein konnte.

Ich wollte meine Schuhe anziehen, da fiel meiner Mutter und auch dem Stöcker auf, daß die ziemlich schmutzig waren, wie gesagt es war ein regnerischer Morgen.

Meine Mutter sagte sie ließe mich nicht mit schmutzigen Schuhen gehen, Stöcker bestand darauf die Schuhe ungereinigt als Beweismittel meiner Übeltaten einzusacken, natürlich setzte meine Mutter sich durch. Zur Freude der Nachbarn bestieg ich das Auto der Polizei, immerhin aber mit frisch geputzten Schuhen, Stöcker sah nachdenklich vor sich hin, wahrscheinlich überlegte er wie er seinen Vorgesetzten vermitteln sollte daß unter seinen Augen ein wichtiger Beweis vernichtet worden war.

Es stellte sich heraus daß die Geschichte – ich wußte ja schon, daß ich unschuldig war – eigentlich harmlos war, was meinen Anteil betraf. Jemand hatte die Hagestolzin überfallen, sie hatte sich dabei einen gebrochenen Arm eingehandelt und weil sie sich nur an mich erinnern konnte hatte sie mich als Täter angegeben. Ich platzte fast vor Stolz daß ich meine angelesenen Kenntnisse (Arthur Conan Doyle) zum Einsatz bringen konnte – alles Ausschließbare ausschließen wobei das Übrigbleibende dann Tatsache sein mußte. Konnte ja nur der Maxie gewesen sein. War er auch, er gestand und landete in der Besserungsanstalt. Mich ließ die Polizei gehen.

Vor Gericht plädierte sein Anwalt auf vollkommene Unschuld und bat um Verständnis für seinen Klienten weil Maxie sich doch in diese Frau verliebt habe und:

 

"mit einem Steinchen nach ihr geworfen hat, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen"


Wobei, das soll nicht verschwiegen werden dieses Steinchen eigentlich ein Pflasterstein mittlerer Größe gewesen war, so geschickt geworfen daß er der Angestrebten immerhin, wie schon erwähnt, den Arm gebrochen hatte.

Das aber war nicht das letzte Mal daß Stöcker und ich zusammengetroffen sind.

An anderer Stelle habe ich berichtet wie ich - um der Strapazen Willen - einmal in den großen Ferien nach Afghanistan gereist war, dorthin wo gerade unser Land und unsere Demokratie verteidigt wird. Und ich – so hat es zumindest Bartolf Engel, ein Mitschüler, der Polizei gegenüber behauptet - hatte von dort ein gewisses Quantum pflanzlicher Eintrittskarten zu den künstlichen Paradiesen mitgebracht. Zu diesem Vorwurf möchte ich trotz der vielen Jahre die seither vergangen sind keine definitive Stellung nehmen.

Wie das Leben so spielt wurde Herr Stöcker mit der Aufklärung betraut und man gesellte ihm einen Kollegen bei, der gerade vom Verkehrsdezernat zur Kriminalpolizei gewechselt hatte. Der war Sohn eines bedeutenden Kulmbacher Klempners und Vater einer nichtigen Figur gegen den ich (die Jahre haben es erwiesen) zu recht das Rennen um die Gunst von Margit Doppel verloren hatte. Dieser Vater war in Kulmbach bekannt als entschiedener Tourist, mit einer deutlichen Neigung zu exotischen Reisezielen. Anscheinend war ich der erste Sohn der Stadt der es bis in jenes ferne Land geschafft hatte, was ihn spürbar neidisch machte. Er kündigte gesprächsweise eine eigene Reise dorthin für das nächste Jahr an und erbat sich Informationen von mir.

Meine Mutter war empört daß Stöcker nach 8 Jahren schon wieder auftrat um wieder abstruse Anwürfe gegen ihren Sohn vorzutragen.

Man kam ins Plaudern, Kaffee wurde gereicht, ich starrte verstockt ins Leere. Stöcker teilte meiner Mutter mit er müsse eine Haussuchung machen was aber nicht so einfach sei weil er nicht wisse wie das Zeugs aussähe nach dem er suchen sollte. Er und die Kollegen von der Kulmbacher Kripo seien erst in 2 Wochen bei der Kripo Nürnberg zu einem entsprechenden Seminar vorgesehen. Er suchte lustlos, schaute sich meine blödsinnigen Mitbringsel an und dann ... fand er etwas. Einen Klumpen Weihrauch, den ich tatsächlich mitgebracht hatte, warum weiß ich nicht mehr. Seine Miene hellte sich auf. Ich erklärte es handele sich um Weihrauch. Kulmbach ist eine grundsätzlich evangelische Stadt, Stöcker als Zugezogener schien ebenso evangelisch sein, Weihrauch war ihm daher unbekannt, so zog er ab im Gefühl etwas gefunden zu haben. Für den nächsten Tag wurde ich auf die Wache vorgeladen wo ich einen Haufen krauses Zeug erzählte, angestachelt von Unterkommissar Wolf, dem besessenen Touristen. Wie, mit welchen Verkehrsmitteln ich nach Kabul gereist war, wie es in Afghanistan so aussah, Land und Leute, wie das war mit den Rauschdrogen. Die wiederum waren eher das Thema von Herrn Stöcker. Ja, sagte ich, habe es da gegeben, so wie Bier in der Bierstadt Kulmbach, nur eben Rauschdrogen. Man mische es gerne in Süßigkeiten aller Art rein, Kuchen, Plätzchen, Speiseeis. Das Zeugs würde säckeweise verkauft, man könne sich Sandalen mit hohlen Sohlen anfertigen lassen die von außen aussehen als seien sie aus alten Autoreifen geschnitten, jede Sandale wöge allerdings etwa ein Kilo, was das Laufen doch sehr erschwerte, auch angeboten seien Mützchen in Schiffchenartiger Form, außen Lammfell, innen Rauschdrogen, auch diese seien nicht praktisch: zu schwer und neigten dazu vom Kopf zu rutschen.

Es entstand ein geschwätziges, fünfseitiges Protokoll. Stöcker ließ nichts aus.

Das alles führte zu nichts. Laboruntersuchungen ergaben, der Weihrauch war tatsächlich Weihrauch.

Nach Abschluß des Bubengymnasiums in Kulmbach trat ich den Ersatzdienst an. Im St. Josefskrankenhaus in Lorsch (Lorsch damals bekannt durch die 20-Pfennig-Briefmarke, die das älteste Haus Deutschlands zeigte). Dort traf ich auf Frau Möller, die technische Leiterin der Einrichtung – ein echter Dragoner, Roß und Reiter in einem - der ich zuerst mißfiel (meiner langen Haare wegen) dann aber wurden wir Freunde, weil ich so anstellig war.

Jedoch fiel ich später auf wegen Mißbrauchs, man begnadigte mich weil ich gebraucht wurde und weil ich sagte mir sei übel geworden – beim Mißbrauchen - und außerdem war ich fester Bestandteil des Dienstplanes (ein Viertel des Nachtdienstes). Man teilte mir mit daß Mißbrauch für mich nichts sein, ich habe ja gesehen wo so etwas hinführt, daß einem schlecht wird. Wenn die Ärzte mißbrauchten ... das käme vor, das sei in Ordnung ... die seien moralisch gefestigt.

Weil es so schön war und weil ich gebraucht wurde verzichtete ich auf meinen Jahresurlaub den ich im letzten Monat meiner Dienstzeit nehmen wollte, arbeitete diesen Monat durch und schied als Freund.

Ich erhielt ein Zeugnis das so gut war daß ich es nicht verwenden konnte. Als ich es bei einem frommen Krankenhaus in Berlin vorlegte um mich dort in den Nachtdienst einzuschleichen schüttelte die Obernonne angewidert den Kopf wegen der von Frau Möller verwendeten Formulierung

...unser Heinzi verläßt uns leider... .

Immerhin erhielt ich damit aber eine Stelle als Hilfspfleger in der Landesnervenklinik Spandau. Beim Niederschrieben dieser Zeilen komme ich aber doch ins Nachdenken.

Das war Anfang 1971 (glaube ich wenigstens). Ich machte 3 Monate lang verblüffende Erfahrungen in der LNK (die Grenze zwischen denen, die wie man heute gerne sagt 24/7 anwesend waren und so denen die Abends nach Hause gehen durften gingen Anlaß waren bezahlt zu werden, war durchaus durchlässig – in beide Richtungen) und ich kann heute sagen daß man – wenn es möglich ist – den Aufenthalt in solchen Einrichtungen auf welcher Seite auch immer vermeiden sollte. Immerhin lernte ich viel über die tausend Gesichter der Narretei.

Im September des Jahres, ich hatte ein Studium aufgenommen, erhielt ich eine Ladung zur Kriminalpolizei. Ich war mir keiner Schuld bewußt. Aber die Zeit – vielleicht war es auch meine eigene Zeit – war, wie soll ich es sagen, sie war eigen und war zerrüttend. Ich fühlte mich nicht optimal orientiert.

Die Ladung enthielt keine Angaben was ihren Grund betraf.

Mir wurde ein Stuhl vor dem Beamten angewiesen, er sah mich an, bestimmt war der Blick professionell gemeint. Er sagte:

"Ja, nun, erzählen sie mal wie das war als Sie am Savignyplatz zusammengeschlagen worden sind!"

Ich begann fieberhaft nachzudenken. War mir das entfallen, war es möglich, daß einem ein derartiges Ereignis entfallen konnte? War ich tatsächlich zusammengeschlagen worden, konnte ich mir da ganz sicher sein daß nicht. Ich versuchte mein Körpergedächtnis zu befragen, Blut, Schmerzen, blaue Flecken ... nichts. Was sollte ich jetzt tun? Ich beschloß Zeit zu gewinnen.

"Ja" sagte ich, "also ... ich erinnere mich nicht genau, das ist ja schon eine ganze Zeit her, wann soll das noch mal gewesen sein?"

Der Beamte blickte in den Ordner.

"Sie blöder Student sie" sagte er, "das war der falsche Ordner!"

Er ließ sich noch etwas über blöde Studenten aus, ich war zufrieden daß es nicht ich gewesen war der am Savignyplatz zusammengeschlagen worden war, daß also meine Erinnerung, will sagen fehlende Erinnerung mich nicht getrogen hatte und nickte zustimmend.

Der Beamte nahm einen anderen Aktenordner.

"Wo waren Sie" fragte er, "am 19.03 des laufenden Jahres?"

Es war wie gesagt September, fortgeschrittener September. Ich wußte nicht was ich am 19. März gemacht hatte und zuckte deshalb die Achseln.

Die Vernehmung war auf ein Riff gelaufen. Ich sah den Beamten bittend an im Versuch mich hinter dem blöden Studenten zu verstecken.

Der Beamte reagierte indem er mich wieder blöden Student nannte, schnaufte empört, fragte nochmals (nach dem 19.). Vielleicht weil er dachte er könne mich so in die Ecke treiben.

Ich wandte ein das sei doch schon ein ganzes halbes Jahr her, und ich könne mich an Tage erinnern, also daß ich an diesen bestimmtes erlebt hätte, das habe ja an Tagen stattfinden müssen, aber an die Nummern, die Nummern von diesen Tagen, ja, könnte ich nicht mit dienen.

Der Beamte sah ein, daß er ein Angebot machen mußte. Es ginge um den Diebstahl von Medikamenten gegen Diabetes, ich sei als Verdächtiger angegeben worden, sagte er.

Ich schaute ihn verletzt an.

Er fingerte in dem Aktenordner, fischte einige zusammengeheftete Blätter heraus, begann zu lesen, überließ mich meinen Gedanken.

"Hör mal Kollege" rief er gegen eine offenstehende Tür, anscheinend den dort tätigen Beamten meinend, "hör dir das mal an, die sind doch völlig blöde, die Kollegen in Bayern!"

Er las vor:

"... und habe wahrgenommen daß in Kabul Speiseeis mit Haschischgeschmack verkauft wird..."

Der Kollege aus dem Nachbarzimmer war in der Zwischenzeit eingetroffen, beide lachten wiehernd. Ich war irritiert. Der Beamte trug noch ein wenig mehr vor aus meinem Bericht über meine Reise nach Afghanistan. Die beiden lachten fürchterlich. Dann stimmten sie überein daß niemand blöder sein könne als diese Idioten die das Protokoll verfaßt hatten.

Ich fühlte mich betrogen, weil doch der amtliche Vorgang aus dem das Protokoll stammte ohne Ergebnis zu Ende gegangen war. Man hatte man es aufbewahrt ohne mich zu informieren und es war mir nachgereist.

Die beiden versicherten sich nochmals daß niemand so blöd sei wie die Bayern. Ich verzichtete auf den Einwand es handele sich bei den Verfassern des Protokolls nicht um Bayern sondern um Franken.

Ich erfuhr ich sei vorgeladen weil es im St. Josefs-Krankenhaus in Lorsch einen Einbruch gegeben hatte. Entwendet worden seien Medikamente gegen Diabetes. Und eine Frau Möller habe mich als möglichen Täter angegeben. Das fand der Beamte ebenfalls blöde und ob die nicht andere Sorgen hätte haben können.

Mir war in der Zwischenzeit eingefallen daß ich zu der Zeit in des Einbruchs in der Landesnervenklinik gearbeitet hatte. Der Beamte griff zu Telephon und es stellte sich heraus daß ich an dem fraglichen Wochenende Nachtdienst gehabt hatte und es technisch nicht möglich war rechtzeitig für den Einbruch nach Lorsch zu gelangen.

Ich war entlassen, nicht ohne noch einmal als blöder Student bezeichnet worden zu sein.

Das war das Ende meiner – nennen wir sie mutig so – kriminellen Karriere, das letzte Mal daß Stöcker (wenn auch in virtueller Form) in meinem Leben auftauchte.

 

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