W E I S T Ü M E R
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W E I S T Ü M E R

Was mein Vater mich lehrte

 

Der Vater meiner ersten Ehefrau, Ernst Ohnemüller, war eine ausgeschlafene Person.

Einer der sich den Most nicht dort beschaffte wo Bartl ihn holt, nein er bezog ihn von dem Großhändler der Bartls Lieferanten beliefert, zu Vorzugspreisen.

Der alte Ohnemüller hielt sich eine Schar von "guta Kerl" (guten Kerlen) die ihn bei seinen Betreibungen zur Hand gehen mußten.

Eine dieser Unternehmungen bestand darin einen Obstgarten mit angeschlossener Imkerei zu betreiben. Dieser Garten lag direkt neben der Tierkörperverwertungsanstalt Kulmbach (Ortsteil Leuchau). Immer wenn dort Tierkörper verwertet wurden herrschte in diesem Garten ein bestialischer Gestank und ich stellte mir vor wie dieser Gestank sich in feinster Pulverform auf den Blüten niederschlug, dort von den fleißigen Tieren gesammelt, und schließlich zu Honig verarbeitet wurde. Versteht sich, daß ich nie von diesem Honig gegessen habe.

Nicht daß die Bienen überhaupt das Sammeln nötig gehabt hätten, der alte Ohnemüller stellte subventionierten Raffinadezucker in mehr als ausreichenden Mengen, direkt vor dem Bienenhaus zur Verfügung, die Tiere hätten sich das Ausfliegen sparen können.

Er hatte auf dem Gelände des Gartens verschieden geformte Gefäße verteilt in die er seine Notdurft verrichtete und die er dann nach einem undurchsichtigen System (Füllgrad? Reifezeit?) umkippte. Das sollte der Düngung des Gartens dienen. Sagte er.

Warum ich das erzähle?

Ich nehme Anlauf, auf Umwegen.

Dem alten Ohnemüller verdanke ich zwei Sentenzen, mehr nicht. Beide sind, was den möglichen Einsatz in Konversationen betrifft, fragwürdig:

 

"Ingrid-Marie – ein guter Apfel."

 

Das hat er gerne mit einer brummigen Nonchalance vorgetragen um eine Apfelsorte – aus dem bereits erwähnten Garten – anzupreisen,

Einschub: das Erinnern dieser Sentenz bringt unweigerlich einen anderen Satz mit sich: er stammt von einem unvergessenen Deutschlehrer, hochgradig konservativ-national gesinnt, die Kollegen, die Schulleitung ließen ihn lächelnd gewähren, die Zeiten damals waren großzügig und nachsichtig. Seine Leidenschaft waren Farbkreiden mittels derer er am Anfang des Schuljahres aufwendige Pläne an die Tafel schrieb, vielfarbig, mit tiefgestaffelten Ordnungssystemen, was er gedachte in dem Jahr zu vermitteln. Das hatte etwas sisyphosoides, weil er in jeder Deutschstunde neu anfangen mußte, die Tafel wurde immer wieder gereinigt (es gab ja noch andere Fächer). Das mühsame Erstellen des Zeitplans führte dazu daß der nicht eingehalten werden konnte. Der Leckerbissen zum Schuljahresende, Goethe und Faust, konnte nicht serviert werden. Aber immerhin, wir erfuhren:

 

"Goethes Faust – da steckt schon was drin!"

 

zurück (zum alten Ohnemüller) der zweite Spruch:

 

"Gell do laxt mei Faxla!" (na da lachst du mein Faxchen)

 

So wandte er sich oft an Fax, genannt Faxla, das war der Hund seiner Tochter (meiner damaligen Frau) gewesen, der nach einer komplizierten Vorgeschichte in seine Obhut übergegangen war.

Versteht sich daß ich die Äpfel der Sorte Ingrid-Marie verschmähe.

Das ist meine Ausbeute, soweit sie den Schwiegervater (den ehemaligen) betrifft.

 

Väter sind seltsame Gesellen. Der mentale Werkzeugkasten meines Vaters enthielt einen komplett anderen Satz an Instrumenten als der meiner Mutter. Ihrer war wohlgefüllt mit zersetzend - analytischen Geräten. Er war ein positiver Mensch, der keine Probleme hatte das Vorhandene so zu sehen wie es gesehen werden will, und vielleicht auch im Sinne eines reibungsfreien Miteinanders gesehen werden muß. Er bewegte sich darin in vollkommener Sicherheit. Das war es was meinen Vater für meine Mutter attraktiv machte. Denn sie sah durch die Schauseite des Vorhandenen hindurch auf seine Abseiten, wobei ihr auch das was sich in seinen Falten und Nischen verbarg nicht entging.

Mit dieser Sichtweise und den darausfolgenden Erkenntnissen war meine Mutter freigiebig, sie gab alles an ihre Kinder weiter.

Das führt zu einer unpraktischen Einstellung zum Leben und seinen Erscheinungen. Denn diese Sichtweise zwingt den damit Ausgestatteten nicht nur die Schauseiten, sondern auch die Abseiten zu bedenken. Was denn Prozeß des Bedenkens aufwendig macht.

Entscheidungsprozeße verlangsamen sich, Entscheidungen werden fragwürdig. Im Gegenzug erfährt man wie tief gestaffelt das Vorhandene doch ist, und daß die Welt einer seltsamer Ort ist, seltsamer als man (wer ist das?) uns glauben machen will.

Mein Mutter litt unter ihrer Sichtweise und wünschte sich so sehr glauben zu können, weil es doch praktischer und trostvoller ist.

Die Qualitäten meines Vaters habe ich erst spät zu schätzen gelernt. Er war ein sozial hoch kompetente Person, fand überall in Gesellschaft sofort Zugang und war immer gut gelitten.

Es steht außer Zweifel, wir gehörten zum Blue Collar Milieu (vielleicht schon zum dirty Collar Milieu oder sogar - so meine älteste Tochter - zum No Collar Milieu) worunter meine Mutter ein wenig litt. Nicht daß sie sich für etwas besseres gehalten hätte, nein, sie fühlte sich eher überhaupt nirgendwohin zugehörig, aber das Verhalten der Kreise in denen mein Vater verkehrte, die Art wie dort geredet wurde, gefeiert wurde, das ließ sie leiden.

Sie wollte in gar keinen Kreisen verkehren. Sie liebte meinen Vater von ganzem Herzen, das weiß ich sicher, und vielleicht ging es ihr darum ihn nicht aus dem Kreis der Familie oder der nächsten Verwandtschaft zu lassen.

Die simplen Freuden denen er und seine Freunde sich gerne hingaben, taten nichts für sie. Fußball, Feiern jeder Art, Trinken, Unsinn veranstalten so etwas lehnte sie ab. Seine Neigung sich zu organisieren (Renngemeinschaft 'steiler Auspuff', Freiwillige Feuerwehr Blaich, Kegelverein Lohengrin Kulmbach-Pörbitsch 1896 e.V.) fand nicht direkt ihre Zustimmung, die Verpflichtung als Ehefrau am sozialen Leben dieser Organisationen teilzunehmen quälte sie.

Dabei war sie sehr beliebt und später im Beruf als Kollegin immer sehr gesucht, aber da war immer eine Distanz die nie wich.

Mein Vater hat immer gerne und hart gearbeitet und seinen Lohn komplett bei meiner Mutter abgeliefert. Sie hat ihn dann mit gewissen Summen ausgestattet daß er mit seinen Freunden ein wenig Karten spielen und trinken konnte.

Sie machten gerne Unfug, mein Vater und seine Freunde: einmal brach sich mein Vater sich in der Überschlag-Schiff-Schaukel (damals die Krönung jeden Rummels) ein Bein, ein anderes Mal hängten er und seine Freunde Samstag Nacht auf dem Nachhauseweg von der Kneipe die Blaicher Straße entlang die Gartentüren (viele Häuser lagen von der Straße zurückgesetzt) aus, worauf er auf Geheiß der Staatsmacht am Sonntagmorgen unter reger Anteilnahme der Einwohner diese Türen wieder einhängen mußte. Alleine, ohne seine Freunde.

Nach einer Übung der freiwilligen Feuerwehr Blaich wurde ein wenig getrunken und in gehobener Stimmung gingen die Wehrmänner schwerfälligen Schritts auf den nahegelegenen Kinderspielplatz.

Der war neu, und seine Hauptattraktion war eine pilzartige Konstruktion, der Stiel fest in die Erde gegründet der Schirm drehbar und versehen mit einem umlaufenen Stahlrohr zum festhalten, ungefähr 1,80 – 2,00 m vom Boden entfernt.

In der Fachsprache heißt eine solche Konstruktion Drehpilz.

Man hält sich an dem umlaufenden Stahlrohr fest, läuft im Kreis und wenn der Schwung ausreicht nimmt man die Füße vom Boden weg und fliegt (?) ein wenig (in Kreis).

Es waren stattliche, kräftige Männer die den Pilz besetzten und schon bald hatte er gut Fahrt aufgenommen. Der Kommandant war der Kräftigste.

Einer nach dem anderen gab auf, griff aber dann vom auf festen Grund aus zu um die Drehung des Schirms zu beschleunigen.

Der Kommandant hing als letzter am Schirm und zur allgemeinen Freude waagrecht. Es soll überwältigend ausgesehen haben.

Die Begeisterung die von meinem Vater ausging wenn er davon erzählte war größer als die bei den Erzählungen seines Beitrags zur Verteidigung von Schweinfurt mittels Flugabwehrgeschützen am Ende des zweiten Weltkriegs.

Schneller und schneller der Schirm, so schnell daß auch die übermenschlichen Kräfte des Kommandanten nicht mehr ausreichten.

Er löste sich von der Konstruktion, schwebte durch die Luft und schlug nach etwa 20 Metern auf dem Boden auf und rutschte noch ein Stückchen mit dem Gesicht nach unten über den Dreck.

Das führte ins Krankenhaus, er sah aus wie ein gewaltiger Klumpen Hackfleisch, und seinen Unfall als Folgen feuerwehrlichen Tuns darzustellen war schwierig aber nicht unmöglich.

Großartig auch die Gefälligkeit die mein Vater einem alten Schulfreund erwies. Der hatte beschlossen als Heiratsschwindler tätig zu werden. Er nahm den nom-de-guerre Harry Botho Baron von Brencken an und mein Vater diente ihm als Chauffeur.

Als der Schwindel aufflog entging mein Vater nur knapp einer Gefängnisstrafe, man hielt ihm zu gute daß er das ganze für eine Art kostümierten Spaß gehalten habe.

Wenn über Langeweile geklagt wurde schlug mein Vater oft vor man könne doch:

 

"sich nackt ausziehn und auf die Kleider aufpassen"

 

was als Freizeitbeschäftigung mehr als simpel, als Konzept aber grandios ist. Der kecke Entschluß sich vollständig zu entblößen, dann aber in kleinlicher Weise die Kleider zu bewachen - das stellt sich als fruchtbare Differenz dar. Und das mitschwingende, fast schon paranoide Mißtrauen, man müsse auf seine Kleider aufpassen bei solch intimen Unternehmungen, deutet auf eine gefährlich Welt hin.

In der Familie trug mein Vater seinen Teil zur Unterhaltung der Kinder bei. Das Lieblingsspiel welches wir mit ihm spielen durften hieß "Tot". Es ging ungefähr folgendermaßen: Er kam von der Arbeit nach Hause, war sicherlich abgekämpft und müde und legte sich unter der Vorgabe er sei nun tot auf den Fußboden der Wohnküche. Worauf wir Kinder jubelnd über ihn hin und herkrochen und an ihm herumzupften und herumstocherten um ihn wieder zu erwecken.

Er war zäh, schlief bei dieser Tortur meistens ein, für uns Kinder war es Freude ohne Ende.

Er sang uns auf Melodien eigener Findung die Abenteuer von Lurchi, dem Symbolamphibium der Salamanderschuhe vor, mit seinem weichen Bariton:

 

"...Lurchi war ein armer Mann, ihn knabbert schon die Armut an..."

 

(Dies allerdings von ihm selbst erfunden, in den Lurchiheften nicht zu finden)

Gerne trug er auch – ohne Anlaß und ohne Systematik – folgende Zeilen vor:

 

"Schwer mit den Schätzen des Orients beladen, zieht eine Viermastbark am Horizont dahin..."

 

Liedgut

 

Dazu schaute er schwermütig drein. Er sang nur diese beiden Zeilen, was es mit dem Lied auf sich hatte war unklar. Ob es sogar vielleicht seine Erfindung war, wir haben nie gefragt.

In meiner Jetzt-Zeit stellt es sich heraus es handelt sich um ein Lied das gerne beim Militär gesungen wurde und wird. Im Internet ist es weit verbreitet, brüllende Männerchöre tragen es zackig vor, keine Spur der Melancholie, die die Version meines Vaters auszeichnete, ist in diesen Versionen zu spüren.

Gerne sang er auch:

 

"Der Wind spielt mit der Scheißhaustür, und eine Stimme ruft: Papier!"

 

Spät haben wir erfahren daß es sich um eine Variante des Zarah-Leander-Liedes "Der Wind hat mir ein Lied erzählt" handelte.

Ein weiteres Bruchstück:

 

"Du hast Glück bei der Flak, Erna Sack"

 

blieb lange ein Rätsel, wer war Erna Sack (eine Diseuse in Nazi-Deutschland!) und die Melodie? Später stellte es sich heraus es war "Du hast Glück bei den Fraun Bel Ami..."

Manche seiner Sentenzen hatten auch die Qualität eines zenbuddhistischen Koans:

 

"Ich kannte eine Frau die war noch dicker und die steckte sich einen Zweener in den Arsch und rollte damit den Burgberg runter..."

 

In diesem Bild gab es keine andere Frau die dünner gewesen wäre und an welcher Stelle dieser Spruch eingesetzt werden konnte war mir anfangs unklar.

 

Er forderte einen gerne auf mit zusammengebissenen Zähnen zu sagen:

 

Ich kann nicht in die Sonne sehen

 

Sagte man (mit zusammengebissenen Zähnen) das Sprüchlein auf  erhielt man die rüde Anweisung:

 

Dann schaust halt nei mein Orsch

 

(wobei mir gerade auffällt daß der erste Teil in reinem Hochdeutsch gesprochen wird und die Replik im Kulmbacher Dialekt erteilt wird.)

 

 

Sprach mein Herr Vater von Filmen gebrauchte er gerne den Begriff des

 

"elektrisch Vernarrnhaltens"


wobei sich diese praktische Vorstellung problemlos erweitern läßt aufs elektronische Vernarrnhalten (das Fernsehen) und später das digitale Vernarrnhalten. (das Internet)

Ein anderer seiner Standardsprüche: auf die Frage was gerade im Kino gezeigt würde oder was das Fernsehprogramm heute abend böte, sagte er:

 

"Mutters Kraut quackert!"

 

Daß er das sagte weiß ich erst seit kurzem und zwar seit ich den Mut aufbrachte mit meiner Mutter darüber zu sprechen.

Bis dahin hatte ich gedacht es handele sich dabei um ein mir unbekanntes Küchenutensil namens 'Krautquacket' das zum Bereiten von Kraut gebraucht wird.

Tatsächlich sagte er 'Mutters Kraut quackert', ein onomatopoetischer Ausdruck der beschreibt wie Mutters Kraut vor sich hinkocht, wie Blasen an die Oberfläche steigen und leise zerplatzen. Na ganz einfach: das Kraut quackert, wie soll man denn sonst beschreiben!

Diese vorauseilende Vorstellungskraft, die Filme Warhols vorwegnehmend: ein friedlicher appetitanregender Vorgang als abendfüllender Film.

 

 

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