W E I S T Ü M E R
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Ein Nischenprodukt mausert sich

 

Heute ist vielen Menschen das Geheimnis wie man eine Wohnung erwärmt nicht mehr bekannt. Zentralheizungen verschiedenster Ausführungen, automatisierte Öfen nehmen dem modernen Menschen diese lästige Aufgabe ab.

Das war nicht immer so. In Berlin waren die Wohnungen bis weit in die 80er Jahre mit Kachelöfen ausgestattet und der trauliche Geruch nach Braunkohle lag wie eine Wärme versprechende Decke über vielen Stadtvierteln und sagte den Nasen der Menschen daß die Herrschaft der Kälte keine unbedingte ist.

Um diese Kachelöfen in Gang zu bringen war ein gewisses feuerungstechnisches Verständnis notwendig. Die Kombination von Papier und dünnen Holzschleißen unter den Briketts, die Luftzufuhr und -abfuhr gerade richtig eingestellt, das wollte gelernt sein.

Später gab es Kohleanzünder, übelriechendes chemisches Zeugs, was der Berufsberliner jedoch verschmähte.

Der Berufsberliner bestand auf sein Anmachholz.

Ein Leser liest arglos über dieses Wort hinweg, ein anderer stutzt...

Anmachholz, das waren Bündel dünner Holzscheite (Schleißen) die man beim Kohlenhändler erwerben konnte.

Von den Gerüstbauern ist an diesem Ort schon häufig gesprochen worden. Dem lieblosen Auge bieten sie sich als simple, übermaskuline Komiker dar. Jedoch: hinter dieser schützenden Fassade stecken verwickelte Abgründe, denn: sind sie doch täglich den Abgründen ausgesetzt und sagt nicht Nietzsche: Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.

Da ich ab und zu Gerüstbauer aus- und weiterbilde kann ich häufig einen meiner billigen Scherze einsetzen, wobei meine Kunst darin besteht das zu Vermittelnde so einzurichten daß der Scherz zum Vortrag kommen kann.

Dazu gibt es zwei Wege.

Der eine besteht darin daß ich, wenn die Rede auf Sicherheitsgurte (die abgelehnt werden) kommt, ich den Nutzen dieser für den Discobesuch herausstelle. Als auffälliges Accessoire , als Möglichkeit sich bei trinken an der Bar einzuhaken um den Absturz vom Barhocker vorzubeugen, sich bei der Partnerin einzuhaken. Schon bin ich bei der Disco.

Oder beim Thema Unterlagsbohle weise ich darauf hin daß man sie in Schleiße zerlegen kann um so Anmachholz zu gewinnen. Dafür ernte ich verständnislose Blicke.

"Stellen sie sich vor" sage ich "sie gehen in die Disco"

Das führt zu andächtigem Nicken.

"Und sie sehen ein weibliches Wesen welches ihnen gefällt"

- das Nicken wiederholt sich.

"Und jetzt sind sie Sieger. Sie greifen nach Ihrem Anmachholz und werfen es auf die anzugrabende Frau. Was glauben sie, wie sie damit ihre Aufmerksamkeit erregen.

An dieser Stelle steigt in mir immer die Erinnerung daran wie Maxie Still einmal die Aufmerksamkeit des älteren Fräuleins erregt hat.

Mein Publikum ist immer dankbar für diesen Tip wie man in der Disco Püppies angraben kann.

Diese meine Deutung beschränkt natürlich den Einsatz von Anmachholz.

Heute sehe ich, vor einem Nahkauf (Rewe) in der Leonardstraße ein Bündel Anmachholz auf einem Regal. Freue mich, nicke andächtig, denke an Maxie Still und den Gerüstbau, schaue genauer hin und was lese ich? Nicht Anmachholz, nein es heißt jetzt Anfeuerholz!

Die Hersteller dieses Produkts sind mit der Zeit gegangen, sie haben sich entschlossen ihren Kundenkreis zu erweitern.

Raus aus dem Zwielicht lärmerfüllter Discotheken....

Fußballfans können damit ihre Mannschaft anfeuern, Zuschauer die Marathonläufer damit bewegen ein wenig schneller zu laufen, Zuhörer Politiker damit veranlassen noch mehr Versprechen abzugeben.

Und begeistert, weil es immer weiter geht, auch in den entlegensten Winkeln der Konsumwelt, daß modernes Marketing sich auch um bescheidene Produkte kümmert gehe ich nach Hause und freue mich daß unsere Wohnung mit einer Gasetagenheizung ausgestattet ist und drehe das Thermostat zur Feier dieses besonderen Tages um ein Grad höher.

 

 

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