W E I S T Ü M E R
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W E I S T Ü M E R

Helgas Rost bleibt für immer kalt

Wie sicher bereits an anderer Stelle bemerkt sind wir in einem Gefäß und Inhalt und zugleich  schwimmen wir darin und die Erinnerungen treiben vermutet und unvermutet an uns vorbei, berühren uns, stoßen uns kantig an, erschweren das Schwimmen, dienen als Schwimmringe.

Erinnert man sich an Erinnerungen? Hinterher erinnerte ich mich, daß ich gar nicht selten an den Vorfall, von dem ich hier reden will, gedacht habe, im Ablauf meiner Jahre.

Im aktuellen Jahr (2014) besuchte ich häufig meine Heimatstadt. Im September komme ich mit dem Zug an, trete aus dem Bahnhof, überquere die Straße, gehe an der Würstelbude vorbei und da steht – kein Zweifel – hinter der Bratvorrichtung Helga B. eine Klassenkameradin aus der Volksschule Kulmbach  Blaich. Sie hat sich nicht verändert, na vielleicht Volumen zugelegt.

Sofort fühle ich mich schuldig, eine Erinnerung befällt mich, ich erinnere mich daß ich bei jeder Erinnerung des Vorfalls mich immer schuldig gefühlt habe. Wieder und wieder kehrte ich sie zu den anderen unter meinen psychischen Teppich, unter dem soviel liegt, daß ich (mental) einen halben Meter zu groß bin und deshalb gewisse Türen nicht durchschreiten kann.

Ich war 8 Jahre alt und sollte von daher in der dritten Klasse gewesen sein. Ich war roh, gedankenlos und versponnen. Ich führte eine kleine Gruppe Mitschüler an. So stromerte die unter meiner Anleitung eines Tages über den Pausenhof, stromerte um eine abgelegene Ecke und da stand ein kleine Gruppe Mädchen. Vor der Gruppe stand Helga B. mit einem Heftchen in der Hand. Sie sangen, unter Anleitung von Helga:

 

Der weiße Mond von Maratonga

Eine Sage erzählt
wenn die Liebe dir fehlt
und dein Herz wird vor Sehnsucht so schwer
such' im Mondlicht am Strand
eine Perle im Sand
wirf sie weit in das nächtliche Meer

Der weiße Mond von Maratonga
erhört, was die Herzen erfleh'n
der weiße Mond von Maratonga
lässt Märchen und Wunder gescheh'n

(1957 vorgetragen von Edith Einzinger, geborene Zuser (* 17. Jänner 1931 in St. Pölten; † 30. Juni 2010 in Salzburg) vulgo Lolita

 

Schreckliche Scheu befiel mich. Dort, direkt vor meinem Blick, fand das Andere statt. Fremdes, so fremd daß es in Melodie gefasst werden mußte. Ich schlug die Augen nieder unter dem vorwurfsvollen Blick von Helga, wandte mich und meine Schar ab.

 

Die Würstelbude, Helga als Bräterin, hatte sie die  besungene Perle gefunden und ihr Herzenswunsch (Bräterin zu sein) war von den Göttern von Tahiti erfüllt worden?

Ich gab mich nicht zu erkennen.

Im Dezember bin ich wieder in Kulmbach, sitze neben meiner Mutter auf dem Sofa, sie liest die Lokalzeitung mittels einer Lupe, ich lese, mittels meiner Brille, die abgelegten Seiten. Da, ein ganzseitiger Artikel.

Helga geht zur Rente (klar, ist so alt wie ich) und die Lokalzeitung feiert sie mit einer fetten Überschrift.

Helgas Rost bleibt für immer kalt.

 

Sie erklärt das 'Tus so' und das 'Tus so nicht' des Bratgewerbes. Ketchup oder Mayo haben auf Bratwürsten nichts zu suchen.

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