Zwischenergebnis 1:
Die Niederschrift des folgenden Textes gestaltet sich schwierig. Die Zielvorgabe: Herausarbeiten und Definieren meiner psychischen Fundamentierung. Die Unternehmung wird behindert durch das Wuchern von Erinnerungen und dem Auffinden neuer Informationen. Der Weg zum Ziel wird dadurch partiell verstellt und labyrinthisch.
Zwischenergebnis 2 (einige Zeit später):
Die Niederschrift des geplanten Textes ist gescheitert.
Der Versuch die Geschichten und die Folgen zweier Begegnungen mit beeindruckenden Personen aus dem Beitrittsgebiet miteinander zu verknüpfen übersteigt meine Fähigkeiten.
Daher werde ich (unter obiger Überschrift) zwei Texte anfertigen die dieses Begegnungen (und die Folgen) im einzelnen schildern.
Das Beitrittsgebiet ist ein seltsamer Bereich, häufig, wenn ich dort unterwegs bin, meine ich mich durch die 'Zone' zu bewegen. Mit Zone meine ich nicht jenes Wort was im Westen im Schwange war um gegen die DDR zu hetzen, sonder die Zone in der der Stalker aus dem gleichnamigen Tarkowski-Film unterwegs war.
Die 'Zone' ist nicht bedrohlich, sie ist anders, so als sei da eine sozial/kulturelle Neutronenbombe explodiert, die die Materialität des Bereichs und ihrer Einwohner unangetastet gelassen hat, dabei aber doch subtile Verschiebungen bewirkte .
Kann auch sein daß ich in der 'Zone' als displaced person unterwegs bin, meine Augen nur bedingt kompatibel zu dem was zu sehen ist. Vielleicht erfahre ich das Vorhandene als eine verschobene Wiederkehr dessen was ich in den fünfziger Jahren als Kind am Stadtrand einer Kleinstadt erlebt habe. Freundlichkeit, Langsamkeit, Zukunft und doch unter dieser Oberfläche auch lethargische Drohungen.
Ich habe die Wiedervereinigung nicht gewollt. Weil wir in Westberlin so gelebt haben, daß die sprichwörtliche Maden im Speck verglichen mit uns Hungerkünstler auf Tour durch Somalia waren.
Aber ich verdanke ich der Wiedervereinigung viel.
Ich lernte beeindruckende Menschen kennen die auf andere Weise beeindruckend waren als beeindruckende Menschen aus dem beizutretenden Gebiet.
Menschen die zugewandt waren, offen, freundlich und hilfsbereit.
Solche Menschen haben mich geprägt, sie haben mir vieles gegeben was heute noch mein Denken bestimmt, was weiter gedacht werden will und muß.
Mir ist Sport fremd.
Es wird wohl damit zusammenhängen daß Sport eine soziale und kompetitive Einrichtung ist, und mir grundsätzliche Einsichten in dieser Hinsicht fehlen.
Tino war wie ich Honorarkraft. Ich habe ihn im BIZWA kennengelernt. Als er sich dort vorstellte dachte ich von ihm als Konkurrenz, weil ich um meine Auslastung und um meine Einnahmen fürchtete. Da jedoch jeder Auftrag der an Honorarkräfte ging die festangestellten Kräfte (ehemalige Kollegen von mir, nun öffentlicher Dienst) die sich dort im Zustand einer ausgeprägten Sinekure befanden, weiter entlastete, war dies aber nicht der Fall.
Geld war im Überfluß vorhanden.
Tino hatte etwas Offenes, ein entwaffnendes Lächeln, deshalb warf ich meine Bedenken nach einem kurzen Gespräch über Bord. Wir verstanden uns von Anfang an sehr gut und entwickelten schnell ein freundschaftliches Verhältnis.
Viele Aufträge wickelten wir später gemeinsam ab, auch für andere Auftraggeber, nachdem wir es geschafft hatten uns im BIZWA ein Hausverbot einzufangen.
(Kopieren einer kritischen Einschätzung der dortigen Lehrausbildung auf dem BIZWA-eigenen Kopierer, dieser Mißbrauch des Kopierers war der Hauptvorwurf.)
Einmal fuhren wir beide durch diese überbreiten Straßen wie man sie im Beitrittsgebiet häufig findet. Es war früher Morgen, die Straße fast leer, war nur Asphalt im Überfluß da, eine verzauberte Stimmung, durch die Kombination neuer Tag zögerlich im Werden und städtebauliche Großzügigkeit.
Ich bemerkte, daß ich mir Pjöngjang so vorstellte. Tino sah mich an
"Ja" sagte er "da ist was dran!"
Ich war irritiert, fragte nach und erfuhr daß Tino schon in Pjöngjang gewesen war.
Und zwar als Mitglied der Basketballnationalmannschaft der DDR. Ich war erstaunt. Ja, er sei Mitglied im Böse-Buben-Club Berlin-Mitte gewesen, privilegierte Kinder von Hauptstadtfunktionären und so zum Basketball gekommen.
Seit einigen Jahren habe ich keinen Kontakt mehr mit Tino, aus Eigenverschulden wird wohl meine soziale Trägheit sein.
Bei der Recherche für diese Texte fand ich im Internet neben anderen Hinweisen einen Link zu einen Artikel im Neuen Deutschland. Jedoch war der komplette Artikel nur zugänglich für Abo-Kunden oder gegen eine Gebühr. Ich sandte eine barmende Mail und schon nach dreißig Minuten stellte mir das ND den Artikel kostenfrei zur Verfügung.
So kenne ich mein Beitrittsgebiet.
Neues Deutschland / 13. Dezember 1984 / Seite 7
Ein Zimmermann führt unter den Körben Regie
Der DDR-Basketballmeister strebt sechsten Pokalsieg an
Von Jürgen Holz
Mit seinen Händen packt Tino Kuball gewöhnlich kräftig zu. Derbe Arbeit ist seine Sache, schließlich ist er mit Leib und Seele Zimmermann im Berliner Wohnungsbau-Kombinat. Doch wer den 1,92-m-Recken nach Feierabend beobachtet, könnte verblüfft sein. Seine Hände, die Hämmer zu schwingen gewohnt sind, schwere Bretter zureichen, viel Kraft aufwenden müssen, um ein Baugerüst zu fügen, behandeln den 650 Gramm leichten Basketball so gefühlvoll, als sei er ein rohes Ei. Wenn er beim Freiwurf den Ball geschickt in den 3,05 m hoch hängenden Korb „zaubert", mutet das an, als habe er den Ball in ein langsam herabfallendes Blatt verwandelt.
„Übung macht den Meister", lächelte der 21jährige, und geübt hat er das Basketballspiel schon als Knirps in der BSG Empor Berlin, ehe er mit 15 Jahren zur BSG Akademie der Wissenschaften der DDR stieß, wo er bereits als Jugendlicher mit einer Sondergenehmigung in die Seniorenmannschaft aufrückte und mittlerweile auf 18 Länderspieleinsätze kam. Und diese AdW-Mannschaft kann immerhin auf acht Meistertitel — darunter sieben seit 1978 in Folge — verweisen.
Der Zimmermann Tino Kuball ist zusammen mit dem 48fachen Nationalspieler Bernd Stützte — der 27jährige arbeitet in der PGH Rohrleitungsbau und Heizungstechnik — die „Seele" der Mannschaft, der Spielmacher, der die Aktionen dirigiert. Das demonstrierte er dann auch am Dienstagabend beim Auftakt des internationalen Turniers in der AdW-Sporthalle gegen den bulgarischen Oberligavertreter SK Chimik Vi'din, als nach der Pause der 35:38-Rückstand aufgeholt und in einen am Ende noch klaren 93:76-Erfolg umgewandelt wurde. Dabei gab es oftmals Beifall auf offener Szene — vor allem vom AdW-Nachwuchs, der die kleine Spielstätte säumte.
Und an Nachwuchs mangelt es in dieser Basketballsektion nicht: Acht Mannschaften — von den Neun- bis zu den 18jährigen — stehen im regelmäßigen Wettkampfbetrieb.
Das dreitägige Turnier, das am heutigen Donnerstag zu Ende geht, ist schon traditionell. Zum 13. Male geht es diesmal um den Pokal des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der DDR, und Akademie-Präsident Prof. Dr. Werner Scheler hatte es sich auch nicht nehmen lassen, diese reizvolle Veranstaltung zu eröffnen. 1971 war sie aus der Taufe gehoben worden. „Das Turnier erfreut sich Jahr für Jahr einer guten internationalen Besetzung, ist ein Prüfstein für uns und — was viel mehr wiegt — hilft mit, freundschaftliche Kontakte zu vertiefen", urteilte AdW-„Meistermacher" Hermann Huß, der als Übungsleiter sämtliche Turniere miterlebt hat.
Der Gastgeber gelangte bislang zu fünf Pokalerfolgen und strebt nun den sechsten an. Am Mittwoch wurde gegen den ungarischen Oberligasechsten Videoton Szekesfehervar zwar 76 :77 verloren, aber durch das gute Korbverhältnis erreichte AdW das Finale, in dem Pogon Szczecin der Kontrahent ist.
Übrigens wird bei AdW nicht nur Basketball groß geschrieben. Über 2000 Mitglieder in 20 Sektionen und vier Allgemeinen Sportgruppen vereint diese BSG. Als jüngster Sproß wuchs eine Popgymnastikgruppe mit 115 Frauen und Mädchen.
„Nahezu 60 Prozent aller BSG-Mitglieder sind in der Akademie beschäftigt", konstatierte BSG-Vorsitzender Rudi Neumann.
„Wir wollen aber einen noch größeren Durchbruch auf der Grundlage des Gemeinsamen Sportprogramms von DTSB, FDGB und FDJ im regelmäßigen Sporttreiben in den Arbeitskollektiven erreichen." Nachahmenswertes Beispiel das Zentrum für wissenschaftlichen Gerätebau der Akademie, wo es sportlich rege zugeht. Dort ist der Feinmechaniker Mario Misiewicz einer der „Motoren" — ein Basketballer aus der AdW-Meistermannschaft.
So war das also gewesen.
Ich habe den Artikel überflogen und bin bei dem Begriff " Popgymnastikgruppe" aufmerksam geworden. Hätte ich der DDR irgendwie nicht zugetraut und doch.
Anläßlich einer weiteren Fahrt mit Tino grübelte ich ihm eins vor. Rede von den Städten im Beitrittsgebiet – welche ich kenne, welche nicht, was ich von den mir bekannten weiß – und sage: zum Beispiel Gera, ist mir völlig unbekannt.
Ach, sagt Tino, ohne nachzudenken, dort sei doch das DDR-Leistungszentrum für Fliegenfischen gewesen.
Wieder war ich erstaunt. Was es da doch gegeben hatte, dort im grauen Stiefbruder (so dachten wir früher) unseres Hoch-Glanz-Teilstaates.
Vor einigen Wochen, bin ich, wie bereits berichtet, über Riesa aufgeklärt worden, von dem freundlichen Manager der mich dort zum Bahnhof transportiert hat.
Kaum zuhause recherchiere ich weiter und erfahre daß Riesa anscheinend die deutsche Hauptstadt des Cheerleadens ist. Verschiedene Teams des Vereins cheeren regelmäßig, erfahren wir auf Wikipedia. Die Namen der Teams wirken vielversprechend, wobei aber nicht klar ist was versprochen wird.
Manic Dream
Spicy Angels-Level 4
Minimaniacs
Spicy Angels-Level 3
Tinymaniacs
Rookiemäuse
IllmaniXX
Aber so ist es, da ist eine Welt da draußen, eine Welt der Wunder, gleich jenseits unserer Wände. Edward Plunkett, der 18. Baron von Dunsany hat es so ausdrückt : Beyond the Fields We Know fängt das Beitrittsgebiet an.
Nachtrag: In der Zwischenzeit haben wir Gera besucht, fanden die Stadt zufriedenstellend, jedoch keine Spur vom Fliegenfischen.
Jedoch unternahmen wir einige Wochen später eine weitere Expedition ins Beitrittsgebiet. Diesmal nahmen wir unseren ganzen Mut zusammen, den wir wollten Weimar ergründen. Ob unser Mut ausgereicht hat wird sich noch erweisen, denn Weimar ist der Abgrund auf den wir Deutschen gründen. Weimar ist eine Last die nicht mehr vergeht.
Aber, es findet sich alles in Weimar, eine unendliche Anzahl von Plätzen ausgestattet mit Denkmalen, jeder kriegt seins, alles waren schon da gewesen, Ulrich Peters meint es läßt sich nicht mal ausschließen daß sogar Bert Brecht dagewesen ist.
Und was finden wir auf dem Friedhof von Weimar. Seht diese Bilder und begreift daß Weimar, der Rechen im trüben Strom ist, der da Deutschland heißt.
Es bietet sich an das eigene Leben, die eigene Biographie als Straße zu denken.
Läßt man sich darauf ein stellen sich sofort Fragen. Ist diese Straße bereits vorhanden oder müssen wir sie in die Existenz leben, gibt es Leitplanken, gibt es Wegweiser. Bergauf? Bergab? Kurven? Abzweigungen? Ausfahrten?
M**** habe ich ebenfalls im BIZWA kennengelernt. Zuerst herrschte eine gewisse Irritation zwischen uns, weil die soziale Konstellation der fest Angestellten durch mich als Honorarkraft empfindlich gestört wurde. Das war sicherlich meiner krankhaften Neugierde und meiner gut entwickelten natürlichen Aggressivität geschuldet.
Später als Tino hinzukam habe ich, um ihm eine Freude zu machen, entwickelt daß Honorarkraft irgendwie mit Ehre (lat. Honor ) zusammenhängt, während 'Angestellter' sich zurückführen läßt auf 'sich (blöde) anstellen' beziehungsweise auf Vorrichtungen wie Klimaanlagen oder Beleuchtungen die morgens angestellt und abends wieder abgestellt werden.
Also, M****, der aus dem Beitrittsgebiet stammte, kochte jeden Tag für die Angestellten die aus dem Westen kamen. Das schien damit zusammenzuhängen daß die langen, langen Pausen, die im aktiven Gerüstbau üblich sind, in die Lehrausbildung übernommen worden waren.
M**** und ich kamen uns näher, ich erfuhr von seinem Hintergrund. Er war ein ungewöhnlich erfolgreicher Bauleiter bei einer Gerüstbaufirma gewesen die sich nach der Wiedervereinigung aus einem Baukombinat gegründet hatte. Er verdiente Unsummen, allerdings unter Ableistung von Unmengen von Überstunden.
Irgendwann hatte es dann – metaphorisch gesprochen – Knack! gemacht. Er kündigte und fing als einfacher Ausbilder im BIZWA an, das bisher – was die Lehrausbildung Gerüstbau betrifft – voll in Wessihand gewesen war.
M**** grübelte gerne, am liebsten über sich selbst.
Er war eine ausgesprochen aufgeweckte, angenehme, freundliche, fachliche makellose Person und, so weit ichs überblicke, ehrlich.
Eine Sache beschäftigte ihn und schien ihm Sorgen zu machen. Er schilderte die Situation so: er steht im Supermarkt vor der Kühltruhe, sieht die Berge von absurd billigen Schweinefleisch, weiß genau daß da etwas nicht passen kann und schon hat er sich größere Mengen von dem Zeug in den Einkaufswagen gepackt.
Das erinnert mich sehr an die letzten Tage meiner besonderen Beziehung zum Alkohol: Die Dose Bier steht vor mir auf dem Tisch und ich weiß genau daß ich die nicht trinken werde und schwupps, schon läuft ihr Inhalt mir die Kehle runter.
Oder an Hans Bartl, der sich die Frage stellte warum er spezielle von ihm selbst geplante Arm/Handbewegungen ausgeführte.
Der Versuch über sich nachzudenken, scheitert weil Werkzeug und Werkstück identisch sind.
M**** sagte er habe sich eine CD von Shania Twain gekauft, warum wisse er nicht, vielleicht weil in den Medien davon geredet worden sein.
Auch sehe er sich manchmal Filme an und wisse dann auch nicht recht warum. Auch in diesem Falle habe er die Medien in Verdacht.
Ein anderes für ihn wichtiges Thema war die Sexualität. Er teilte mit, er habe immer, wenn es sich anbot aus einer Gruppe von Frauen eine zum Ziel der Verführung zu wählen, die unattraktivste ausgesucht, weil so der Aufwand für die Verführung geringer war. Die Abwicklung des Vorgangs ging so schneller und glatter vor sich. Eine Ansicht die ich faszinierend fand, weil sich dahinter ein Konzept verbarg: Zwischengeschlechtliches pur ohne Firlefanz, Glas-Wasser-Theorie nach Alexandra Kollontai?
Er dachte viel nach und er war fähig mir Blicke zu vermitteln: wie machen das Andere, wie gehen sie mit der Frage nach der – metaphorischen – Straße, auf der man unterwegs ist, um. Handelt es sich vielleicht nicht um eine Straße sondern um Geleise?
M*** hielt ich für einen dem es ernst damit war das eigene Fundament zu ergrübeln. Nicht wie ich, der ebenfalls grübelt, aber nur um mentales Spielmaterial zu schaffen.
Er traf im Privaten eine Entscheidung mit weitreichendsten Folgen. Beruflich ist er jetzt Nachfolger von Wölfi, also Ausbildungsleiter im BIZWA.
Als ich vor wenigen Wochen mit ihm telefonierte (Thema war Fachliches aus der Welt der Gerüstbaulehrausbildung) klang er sehr nachdenklich, eigentlich schon depressiv.
Klang so als sei ihm klar geworden daß er mit einer geschickten Bewegung sich selbst ein Bein gestellt hatte.
Aber zurück zum Damals: anläßlich einer Autofahrt (BIZWA – S-Bahn Pankow) fragte mich M****, was ich mir wünschen würde, hätte ich einen Wunsch frei.
M**** hatte ich mir immer als einen Materialisten gedacht, mich selber denke mich sowieso als einen, deshalb traf mich seine Frage an einer Stelle an der eigentlich nichts vorhanden war, was hätte irgendwie zu einer Antwort dienen können.
Ich senkte den Blick, überlegte, eine Antwort wurde von mir erwartet. Die 'Biography of the Life of Manuel', in der Storisende-Edition (James Branch Cabell) besaß ich bereits, an der Subskription der historische-kritischen Gesamtausgabe von Nestroy nahm ich teil, ansonsten dachte ich mir daß es eigentlich nichts zu wünschen gab.
Doch halt, mir fiel etwas ein. Ich sagte ja, die Gesamtaufnahme der Werke von Luigi Boccherini, die würde ich mir wünschen.
M**** nahm den Blick von der Straße sah mich zweifelnd an, ich spürte meine Antwort war falsch, er wandte den Blick wieder der Straße zu, hob ihn etwas an, in Richtung Horizont und sagte, er stellte sich unter einem solchen Wunsch etwas anderes vor, beispielsweise den, das Leben möge nochmals von vorne beginnen um dann anders zu verlaufen.
Das traf mich, weil die unverrückbare Barrieren physikalisch-biologischer Art solchem Wünschen unübersteigbare Hindernisse in den Weg legen.
Wir erreichen die S-Bahn, das letzte Stück Weges schweigend.
Heute, viele Jahre nach diesem Vorfall, begreife daß mir ein Stück Menschlichkeit abgeht, es ist schäbig Materielles zu wünschen, Menschsein heißt sich gegen das Schicksal aufzulehnen, das Fahrzeug Individuum, dessen Piloten wir sind, gegen die Leitplanken zu lenken um so einen Abzweig zu erzwingen oder wenigstens in einer anständigen Explosion unterzugehen.
Seitdem mir das klar geworden muß ich mit dem Mangel leben: unfähig zu sein den Blick gegen die lichten Höhen zu heben.
Anmerkung:
Seltsam wie es sich fügt, es ist noch keine 2 Stunden her da erhalte ich einen Anruf von meinem (auch an anderen Orten erwähnten) Bruder.
Ich hätte ihm doch gesagt es gäbe eine Gesamtausgabe der Quintette von Luigi Boccherini. Er habe sich erkundigt und erfahren, ja, gäbe es, es handele sich um eine Gesamtausgabe der Werke (was nicht stimmt), aber sie sei bei Brilliant erschienen. Brilliant lehne er ab.
Er lehnt eigentlich auch Boccherini ab weil der ihm zu oft die Tonart Dur verwende.
(Er meint nur Moll sei eine ernstzunehmende Tonart)
Brilliant sei keine gute Firma. Ich senke meine Stimme ins Flüstern und sage Brilliant sei ausreichend gut und die Aufnahmen vollständig brauchbar. Er erzählt von der Hannover Band (?) und einem russischen Komponisten. Ich wiederhole einige Male meine geflüsterte Aussage bezüglich Brilliant. Und weil es für mich nach Boccherini keinen hörenswerten Komponisten mehr gegeben hat. Wir beenden das Telefonat.