W E I S T Ü M E R
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Erinnerungen an mich (und Klaus B.)

 

Der Klaus B. um den es hier geht ist nicht Klaus, der verlegende Dandy, sondern der sog. Schöne Klausi, ein sehr außergewöhnlicher Mann wie es in seinem Nachruf heißt. Ehemals war er der Geschäftsführer von Rohrgerüstbau.

 

Jung sein heißt Vorstellungen ausgesetzt zu sein. Etwa: Wo komm ich her, wo bin ich, wo will ich hin. Wo ich her kam war mir damals mehr als klar, wo ich hin wollte war vorgegeben weil doch jeder wenn er nur ehrlich genug ist genau weiß auf welchen Punkt das Leben zuläuft, aber wo ich war, damals, zwischen 20 und 30, das war durchaus unsicher und mußte in einem langwierigen Prozeß aufwendig bedacht werden.

Es waren also so ungefähr die siebziger Jahre, ich war an der FU als Student der Literaturwissenschaften eingeschrieben, arbeitete nebenbei in der Gebäudereinigung.

Ich hatte eine Frau wieder getroffen, die ich bereits aus Kulmbach kannte und die an der Lichtenrader Endhaltestelle des 1-er Busses lebte, ich an der anderen in Moabit.

Mit diesem Bus fuhr ich auch zur (Freien) Universität um dort meinen nur ungenügend verstandenen Studien nachzugehen.

Die Route des Busses führte durch die Dovestraße. An der Kreuzung mit dem Salzufer befand sich die Niederlassung von Rohrgerüstbau. Ich saß im Oberdeck preßte die Stirn an der Scheibe, sah über die Mauer auf den Platz und unterdrückte den Impuls auszusteigen um eine rabiate Kehre mit meinem Leben vorzunehmen, um eine Anstellung in diesem Gewerbe zu bitten. Wie gesagt, mein Ort war mir ungewiß.

Bis zum Beginn der 80er Jahre gelang es mir mein Leben so ziemlich an die Wand zu fahren.

Wie ich von der Maßnahme erfuhr der ich die bedingte Wendung meines Lebens verdanke weiß ich nicht mehr. Auf Drängen von Klaus B. der schwer unter dem abgründig schlechten Ruf des Gerüstbaus litt und darunter daß er als ambitionierter Geschäftsführer für eine ganze Schar Gerüstbaulurche verantwortlich war, richtete das Arbeitsamt Berlin einen Pilotkurs ein. Es sollte testweise versucht werden eine Art Ausbildung im Gerüstbau anzubieten. Ich ergatterte den letzten freien Platz.

 

Ich lernte in dieser Maßnahme Klaus B. und Heiner, den Richtmeister kennen. Heiner der schlesische Hundewägelchenfahrer begeisterte mich. Heute würde man sicher sagen daß Heiner authentisch war. Wobei aber nicht geklärt ist auf was die Authentizität sich beziehen könnte. Klaus B. war ein atemberaubender Windbeutel, der klassische Hans-Dampf in allen Gossen. Er hatte gerade eine langjährige Karriere als Topalkoholiker beendet (mit Hilfe der Anonymen) und erzählte während der Schulung – ihm oblag der theoretische Teil – ausdauernd davon. Zusätzlich hatte er sich einer Rhetorikschulung unterzogen und nutzte diese gnadenlos wobei er aber nie verhehlen konnte, daß er seine Rhetorik eine Schulung nötig gehabt hatte, und man ihr nun diese Schulung anhörte.

Später habe ich erfahren daß er bei den Anonymen einen Staatsanwalt getroffen hatte der dort mit seiner ebenfalls betroffenen Frau sich seinen Dämonen stellte. Es war der in aufgeklärten Kreisen bekannte Herr Rolfsmeyer der soeben den Schmückerprozeß an die Wand gefahren hatte.


Der Schmücker-Prozeß bestand aus insgesamt vier Strafverfahren, in denen der Mord an Ulrich Schmücker aufgeklärt werden sollte, einem Terroristen und V-Mann des West-Berliner Verfassungsschutzes. Er war der längste Strafprozeß in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, begann 1976 und endete nach 591 Verhandlungstagen und vier Verfahren 1991 mit der Einstellung des Strafverfahrens. Der Prozeß gilt als Justizskandal, da das Verfahren – wie offiziell festgestellt – vom Verfassungsschutz und mindestens zwei Staatsanwälten vielfach manipuliert und massiv behindert wurde, etwa durch Unterdrückung von Beweismitteln, wodurch die gerichtliche Aufklärung unmöglich wurde.


Klaus B. spannte Herrn Rolfsmeyer Frau Rolfsmeyer aus, was später zu einer Heirat und noch später zu einer Trennung führte. Frau Rolfsmeyer brachte in die Ehe einen einbeinigen Cousin mit der in Ostberlin als Taxifahrer tätig war, man raunte aber im Hauptberuf sei er KGB-Major. Ich lernte ihn später kennen, als eine durchaus charmante ehrenwerte Person.

Mit ihm zusammen zog Klaus B. ein Grundstücksgeschäft durch was für unseren Betrieb Weiterungen hatte die schließlich zur Pleite führten.

 

Klaus B. und ich wurden keine Freunde. Während ich beschäftigt war provisorisch meine Tiefen und Untiefen zu verwalten, mußte Klaus B. sich um den Betrieb kümmern, sein Lieblingsprojekt den Ausbildungsstand im Gewerbe ins Unermeßliche zu steigern vorantreiben, und schließlich war da noch sein Meisterplan der in etwa darin bestand sich den Betrieb unter den Nagel zu reißen.

Meine Tiefen und Untiefen machen es Anderen nicht leicht mit mir umzugehen, das gebe ich zu. Mein überstarkes Bedürfnis unterhalten zu werden ist ein weiteres ernstes Problem. Meine Überzeugung daß die Welt lesbar ist, oder mit ein wenig Nachhilfe lesbar gemacht werden kann bringt mich nicht selten in adverse Situationen.

Ich geriet in den Betriebsrat. Als ich gewählt wurde trat der an anderer Stelle erwähnte Börnie aus, weil er nicht mit einem Rollbrettfahrer im Rat sitzen wollte. Ich legte damals meine Wege zur Einsatzstelle häufig mit einem Skateboard zurück.

Ich begann Situationen zu schaffen: als (heute sehe ich das so) Klaus B. mir völlig zu recht untersagen wollte an einer Maßnahmen mit dem Ziel des Erwerbs der Ausbildereignungsbefähigung teilzunehmen sorgte ich dafür daß die Angelegenheit vor das Arbeitsgericht kam, Klaus B. verlor in der ersten Instanz, ging schnell in die zweite und schaffte es so einen Präzedenzfall einzurichten: Nun kann an solch einer Schulung teilnehmen auch wenn der Betrieb keine Ausbilder braucht, oder genug Ausbilder angestellt hat.

Das hat Klaus B. vergrätzt.

Ein anderes Mal sollte ich für meine Schwiegereltern einen Wagen nach Portugal überführen und wollte deswegen drei Tage früher in Urlaub gehen als vorgesehen, was mir aber untersagt wurde. Ich rief deshalb im Betrieb an behauptete meine Frau sei nach Portugal abgehauen und ich müsse um meine Ehe zu retten ihr dringend nachfahren und würde mich von dort melden. Wartete die Antwort nicht ab und legte auf.

Weil ich auch schon immer einmal ein Fax hatte senden wollen sandte ich aus Portugal ein sülzendes Fax und die besten Urlaubsgrüße, weil inzwischen mein genehmigter Urlaub bereits begonnen hatte.

Das Arbeitsgericht sah ein, daß Eherettung eigenmächtige Urlaubverlängerung um drei Tage toppt.

Ich hatte mich bei der Lektüre von Proust in dessen wehleidigen Attitüde verguckt und war tief beeindruckt vom Phänomen der Neurasthenie. Und wünschte mir so sehr auch einmal neurasthenisch zu sein. Es geriet mir zur Besessenheit.

Dann wagte ich es: Wir hatten damals einen verträumten Hausarzt der wußte daß es die Gesellschaft ist die am tiefen Leid, das alle Existenz wie dunkles Wasser deckt, Schuld ist. Später gab er seine Praxis auf um sich der Ammonbrigade anzuschließen. Ja, das Leben ist unwegsam und erzwingt gewundene Pfade.

 

Die Geschichte der Deutsche Akademie für Psychoanalyse (DAP) ist von internen und externen Konflikten begleitet. Vor allem Ende der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre fanden zahlreiche Auseinandersetzungen mit Ammon und der DAP in den Medien und vor Gericht statt.

 

Der Hausarzt war mir gewogen, weil er romantisch veranlagt war und, ich ein Prachtexemplar der Blue-Collar Welt, doch so überaus empfindsam daherreden konnte.

Deshalb trat ich auf ihn zu und sagte ich bräuchte mal eine Krankschreibung. Wieviel darfs sein fragte er, zwei Wochen sagte ich, und was darfs sein, fragte er weiter, ich sagte: könnte ich mal Neurasthenie haben. Er zögerte ein wenig, dachte nach, sagte sei doch altmodisch, die Neurasthenie, ja sagte ich, deshalb, aber ich würde mich so freuen. Nun sagte er, wenn es sich so verhält, habs noch nie diagnostiziert, und schrieb Neurasthenie auf den Schein.

Der Dispatcher unseres Betriebs, ein angenehmer junger Mann fragte bei der telefonischen Krankmeldung, wie lange ich weg sein würde und anteilnehmend was ich denn hätte. Weil ich noch nie krank gewesen war.

Arglos im Ton, arglistig in der Absicht sagte ich "Ach, Neurasthenie!"

Am nächsten Tag bereits lag eine fristlose Kündigung im Briefkasten. Denn:

Der Dispatcher hatte kaum den Hörer niedergelegt da war bereits der schöne Klausi informiert, und der fragte sofort die kluge Sekretärin (das Wort Neurasthenie war Klaus B. unbekannt). Die griff zu ihrem Pschyrembel und sorgte für Klärung.

Klaus B. war entzückt, weil das beschriebene Krankheitsbild sich mit Sinn und Aufgaben des Gerüstbaus keinesfalls verträgt, davon war er überzeugt.

Den mir von der Gewerkschaft zur Verfügung gestellte Anwalt erfüllte ebenfalls Freude, weil Neurasthenie als Thema eines Rechtsstreits für ihn etwas vollkommen Neues war.

Bei der Gerichtsverhandlung kam es zu einer lebhaften Diskussion: wie verhalten sich Neurasthenie und Gerüstbau zueinander. Das hatte etwas Ergreifendes, da jede Partei einschließlich des Richters viel beizutragen hatte, und der Wissensstand (Gerüstbau; Neurasthenie) sehr ungleich verteilt, beziehungsweise nicht vorhanden war.

Der Urteilsspruch: Klaus B. wurde nach vorne gebeten, da stand er, sein Gesäß konnte die Freizeithose die er sich für die Gelegenheit angezogen hatte, nicht füllen, er wirkte verlassen, beinahe zierlich, der Anwalt und ich tauschten Bemerkungen zum Thema daß es Menschen gibt die sich mit Lust ihre Watschen abholten.

Der Richter entschied daß Neurasthenie und Gerüstbau sich keinesfalls ausschließen, ja daß es nachgerade die Pflicht eines Geschäftsführers ist dem Neurastheniker Arbeits-bedingungen zu schaffen die ihm erlauben Neurastheniker zu sein und trotzdem Gerüste zu erstellen.

Klaus B., immer der schlechte Verlierer degradierte mich. Ich wurde von den Baustellen auf den Platz versetzt wo ich mindere Tätigkeiten ausüben mußte. Dazu gehörte auch das Entleeren der Papierkörbe in den Büroräumen. Was Klaus B. nicht wußte: er kam damit einer meiner großen Leidenschaften entgegen. Stöbern in fremden Papieren jeder Art und anschließendes Anmichbringen.

So gelang es mir eine komplette Biographie von Klaus B. zu ergattern (Scheidung; Führerscheinentzug wg. Alkohol; Erschleichung des Dipl.ing) und dazu noch eine Fotokopie der Steuererklärung des Prokuristen.

Ja so war es damals. Klaus B. dem ich letztlich meine Anwesenheit im Gerüstbau verdanke gründete noch während seiner Zeit als Geschäftsführer von RGB war eine eigene Firma die IGH hieß das G jedoch typographisch so verzerrt daß das Logo sich wie ICH las.

Seine Firma ging so: er zog einen Auftrag an Land, ließ es von den Monteuren von RGB mit dem Material von RGB durchführen und ließ dann das ICH Schild anhängen.

Das vergrätzte die feinen alten Damen denen RGB gehörte, es kam zu einer Klage gegen Klaus B. Der verzog sich ins Fränkische, und ist vorzeitig verstorben.

Mir wiederum gelang es (wegen einer Schulterkondition mußte ich sowieso aus dem aktiven Gewerbe aussteigen) dem Betrieb einen Deal anzubieten: als Betriebsrat war ich schwer kündbar, aber gegen eine ordentlich Abfindung würde ich – schweren Herzens – auf meine Stelle verzichten. Ich erhielt die Abfindung kurz darauf mußte RGB Insolvenz anmelden.

Das waren jene Tage als ich mit Hilfe des schönen Klausi eine gute Zeit verleben durfte.

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