W E I S T Ü M E R
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W E I S T Ü M E R

Ein Produkt schlesischer Schulbildung

 

Von 1982 an....

 

Unser Betrieb leistete sich aus uneinsichtigen Gründen einen Montagemeister – der hieß Hermann, war ein zwuckliges (zwucklig: im Gerüstbau gebräuchliches Adjektiv, meint etwa zwergenhaft, unscheinbar, niedlich) Männchen, fuhr mit einen Montagewagen sogenannte Montagehunde (zuerst Boffo, nach dessen Ableben Heiko) von Baustelle zu Baustelle um Handschuhe zu verteilen und von seinem BMW zu erzählen.

Aber die Rede soll nicht von Hermann dem Halslosen (so nannte man ihn) sein, sondern von Heinz Hermann, dem Richtmeister.

 

Nebenbei bemerkt hießen bei uns im Betrieb die meisten Beschäftigten mit Vornamen Heinz. Und außerdem heiße auch ich Heinz, und als Solozugabe heißen mein Vater und der Vater meiner Frau ebenfalls Heinz.


Heiner, wie wir ihn nennen durften, war ein Originalgenie – was den Gerüstbau betraf. Auch sonst übertraf ihn niemand wenn es darum ging etwas noch besser zu wissen. Er kam aus Schlesien, wo er seine vollständige Ausbildung erhalten hatte (4- klassige Volksschule) und wo er - wie er gerne und häufig erzählte - mit einem von dem Hund Phylax gezogenen Wägelchen beim Wasserholen so wild fuhr daß er oft mit diesem häufig umkippte.

Er hat in der Zeit in der ich ihn kennen durfte unzählige Perlen der Weisheit abgesondert von denen ich folgende für die wichtigste halte:

 

"Im Sommer – wenn man sich in einer Kantine Kakao kauft ist unbedingt darauf zu achten daß man gekühlten kriegt, genauso wie man im Winter darauf bestehen soll angewärmten zu kriegen weil man so mehr für sein Geld kriegt!"

 

Eine Baustelle am Kurfürstendamm – die Maison de Francais – die nach libyschem Terroristeneinsatz schwerstens gelitten hatte – war für eine Zeitlang unsere Heimat geworden, man hatte uns sogar einen Bauwagen zur Verfügung gestellt. Heiner war Zeuge eines Verkehrsunfalls geworden, mußte deshalb bei Gericht als Zeuge erscheinen und ließ sich – ganz der überlegene Denker – sein Zeugengeld in Markstücken auszahlen.

Vorplanend weil in dem Gebäude der Maison auch ein Sex-Kino untergebracht war. Eins mit Kabinen die ihr aufreizendes Programm nur gegen fortgesetztes Einwerfen von Markstücken preisgaben. Heiner nutzte dazu die Mittagspause (die im Gerüstbau immer länger dauert), und nach deren Ende berichtete er uns von seinen Erfahrungen, er hatte nicht nur das hetero- nein auch das homosexuelle Angebot durchgearbeitet:

 

"Männer, hätt ich nicht gedacht, die Schwulen, die gehen ran, mit Begeisterung und Schwung die Sache, da kann sich echt eine Scheibe abschneiden, ehrlich!."

 

Seine Augen glänzten, er war ein überzeugtes Arbeitstier, und hatte keine Vorurteile, war immer bereit Leistung anzuerkennen!

Gerne erzählte er auch wie er zu Biggi der Prostituierten mit dem Herz aus purem Gold ging, die immer ein extra Handtuch für ihn bereit hielt, wie er die letzten Treppenstufen beschwingt hochflog und wie sich Biggi freute daß er schon mit einer ordentlichen Erektion ankam, ihr so einen Gutteil der zu erbringenden Leistung abnahm.

Heiner war für den Betrieb unverzichtbar, deshalb hatte man ihn in den Angestelltenstand erhoben. Das kam seinen Plänen entgegen. Als er 58 war hatte er bereits 2 volle Jahre an Überstunden angehäuft. Diese Überstunden hütete er eifersüchtig.

Als im Gewerbe die Schlechtwetterregelung eingeführt wurde war er verärgert weil er als Angestellter davon ausgenommen war und es ihm so geschehen konnte daß im Eintrittsfalle seine Kolonne bezahlt nach Hause gehen konnte, während er seinen Überstundenvorrat abbauen mußte.

In einem extrem kalten Winter hatte unser Betrieb einen Auftrag angenommen mit der Maßgabe daß der auf jeden Fall durchgeführt werden mußte, unabhängig vom Wetter. Es ging darum in einer Höhe von 173 m auf einem Fernsehturm ein Hängegerüst zu bauen um die Arbeit einer Straßenbaufirma zu sichern die die Asphaltdecke auf der letzten Scheibe des Turms erneuern sollte.

Solche Baumaßnahmen sind nur scheinbar widersinnig: tatsächlich ist es so daß in der kalten Jahreszeit wenn die Aufträge dünn sind die Preise dafür beträchtlich sinken. Gerne ließ man damals im Winter Fenster in großen Verwaltungsgebäuden austauschen, der Anblick der Büroangestellten die in ihren Wintermänteln an Schreibtischen saßen war herzerwärmend für uns Gerüstbauer die draußen vor den Fensterhöhlen auf den vereisten Gerüstlagen entlangschlitterten.

Unser Betrieb hatte – wie das winters so Sitte ist im Gewerbe – den Großteil der Monteure entlassen, so daß nur eine kleine Schar zurückgeblieben war.

An einem kalten Morgen fuhren wir mit dem Fahrstuhl auf die 173 Meter, der Ausblick auf die gewaltige weiße Ödnis des zugefrorenen Wannsees griff erhebend ins Gemüt, das Thermometer zeigte – 20°, ein schneidender Wind sägte sich bis in unsere Knochen.

Wir sahen uns an, schüttelten die Köpfe und sagten heute sei Schlechtwetter, kein Zweifel. Heiner sah uns schlau an und sagt:

 

"Also, hört mal, jetzt ist 8:00, wir fahren runter in die Kantine, ich geb euch einen Kaffee aus, dann sitzen wir bis 10:00, die Stunden schreiben wir, dann fahren wir wieder hoch, dann ist nur noch – 10°, was glaubt ihr wie warm euch sein wird!

 

"Dieses 'was glaubt ihr wie warm euch sein wird' ist eine Paraphrase seines Standardspruchs 'was glaubt/glaubst ihr/du denn wie schön das wird!" Eine Rede, die meine Anwesenheit im Gewerbe begleitet hat, dieses Versprechen ist allerdings  nie eingehalten worden.

 

Wir lachten häßlich und gingen Schlechtwetter machen.

Heiner hat aber tatsächlich die kompletten 8 Arbeitsstunden alleine in der Kantine abgebrummt um seinen Überstundenvorrat zu schonen.

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