W E I S T Ü M E R
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Einsatz gegen antikapitalistische Banden in Kulmbach (muß entfallen)

Wie ich höre sind in der Gegend des Kulmbacher Bahnhofs nächtens Jugendliche unterwegs die sich dem Kampf gegen den Kapitalismus verschrieben haben. Sie sprühen entsprechende Losungen an die Wände und überfallen Passanten ohne Ansehen der Person sich dabei sicher auf die beliebte Sentenz des russischen Anarchisten "Schlag ich einen Bürger ins Gesicht treff ich keinen falschen" beziehend.

Unsere Mutter (meine und die meines Bruders) liegt gerade im Kulmbacher Krankenhaus. Sie hat einige Krankheiten und körperliche Fehlfunktionen angehäuft, sich immerhin ohne viel Zeterns zur Behebung ins Krankenhaus bringen lassen. Wo sie jetzt von Enkeln und Urenkeln umtollt wird und wie ich höre soll sie schon wieder ganz kregel sein.

Am nächsten Dienstag fahre ich nach Kulmbach um sie zusammen mit meinem Bruder zu besuchen.

In der Vorbereitung des Vorhabens telefonierte ich mit meinem Bruder und es stellte sich heraus daß er weitgehend orientiert und gut aufgelegt ist.

Ich machte einige Vorschläge: ich könnte ihn zu Essen einladen, oder wir könnten auch in ein Cafe gehen, um dort Schokolade zu trinken, und jeder könnt zwei Stücke Sahnetorte essen (mit Extraportionen Sahne).

Und, sagte ich weiter, könnten wir noch ein wenig Unfug machen, durch die Stadt stromern, uns auffällig verhalten und auch vielleicht einige Fensterscheiben einwerfen.

Mein Bruder sagte wir müßten uns aber vor dem Bahnhof hüten, weil da die weiter oben erwähnten antikapitalistischen Jugendlichen zugange wären, denen die Kulmbacher Polizei nicht Herr werden könne.

Und, erzählte er weiter, auch in Nürnberg, in der Nähe des dortigen Bahnhofs stünden ähnliche Jugendlich bedrohlich herum, das habe ihm mein Enkel, sein Großneffe Leonard, bestätigt.

Ich fragte ihn ob er einen Baseballschläger besäße. Nein besäße er nicht.

Meine Frau, die das Telefonat mithörte und nie um einen Rat verlegen ist, sagte er könne doch eine Axt benutzen und ich seinen Knotenstock.

 

Der Knotenstock: mein ganzes Leben hatte ich mir einen Knotenstock gewünscht, das sind Hochleistungsspazierstöcke die spiralig gewachsen sind (Einfluß von Schlingpflanzen) die gerne von Zimmerleuten herumgetragen werden. Eines Tages geschah es, anläßlich einer Schulungsmaßnahme (Erwerb der Ausbildereignungsbescheinigung) fand ich einen anläßlich einer mittäglichen kleinen Wanderungen die ich während der Schulung in der Bolmecke (Wäldchen in Dortmund) durchführte. Ich erschrak weil die Vorstellung, jemand anderes könne den Stock ernten mich überwältigte. Das war natürlich irrational weil das Gewächse schon seit langen da unbeansprucht vor sich hinwuchs.

 

Am nächsten Tag brachte ich mein treues Messer mit. Ich muß einfügen daß ich zu jener Zeit regelmäßig und gerne trank. Die Aussicht auf einen eigenen Knotenstock bracht mich in meiner beschwingten Stimmung auf höhere nervöse Touren, ich schnitzte nervös an dem Bäumchen herum, rutschte aus und schnitt mir ordentlich in die Hand. Ich mußte lachen weil es so blöd war. Ich schnitzte mit der anderen Hand weiter, kriegte den Stock los, verbarg ihn unter Laub, und ging mit meiner sauber blutenden Hand zurück zur Ausbildungsstätte, erzählte eine wilde Geschichte 8ausgerutscht, umherliegende Glasscherben) ließ mich zum Nähen zu Unfallarzt fahren... Wie man das eben so macht.

 

Später habe ich den Stock meinem Bruder geschenkt weil der ein ding mit der Zimmerei zu laufen hat. Weil unser Vater Zimmermann gelernt hat (sich dabei zwei Finger abgesägt hat) und Jesus ja auch Zimmererazubi gewesen war.

 

 

Oh, oh, sagte er (mein Bruder), die Axt. (im Dialekt die Hackn oder auch das Häckla)

 

Die schöne Axt, die sei bei den Nachbarn abhanden gekommen weil unser Vater dem Leupold (Nachbar) fragliche Hackn ausgeliehen habe, nicht zurückerhalten habe, sie nach etwas Druck doch wiedergekriegt habe, worauf aber Leupold die Hackn wieder an sich gebracht hätte, und unser Vater sei ja dann gestorben und Leupold Erwin sei jetzt dement.

 

Außerdem habe sich Frau Leupold einen Hausschlüssel von unserer Mutter ausgeliehen und bei Rückforderung behauptet sie habe ihn verloren. Aber: einmal habe nachts die leupoldsche Tochter Sabine in der Küche des elterlichen Häuslas gestanden.

 

Das alles findet/fand in Kulmbach statt, in jenem Gemeinwesen das sich auf einer Magnetanomalie und einem Nest von Wasseradern gründet.

 

Ja, die Hackn. Unser Vater habe einen neuen Stiel an den Kopf gemacht, damals.

 

Ach, sage ich, und wo kam denn der Kopf her?

 

Ich erfahre den habe ich doch bei einem Kalkwerk gefunden.

 

Ich kann mich absolut nicht erinnern, auch an Kalkwerke nicht, wenn ich mich anstrenge schaffe ich es in die Umgebung von Kulmbach einige Kalkwerke zu plazieren (in meiner Fantasie), ich bin aber nicht sicher wie es mit der Realität dieser bestellt ist.

 

Ja und Janna, meine zweite Tochter, sei mit dabei gewesen.

 

Meine Frau sagt könne schon sein, weil ich dauernd irgendwelches Zeug finde.

 

Aber den Erwin kann man nicht mehr fragen weil der ja dement sei. Was ganz praktisch ist weil er so die Hackn voll abstreiten kann.

 

Wegen der antikapitalistischen Jugend... gibt es denn keine andere Hackn irgendwo in dem Haus?

 

Nein, sagt mein Bruder, die andere habe er weggeworfen. Er habe einmal als Kind einen Baum gefällt, in der Nähe wo er den Barren Zinn vergraben hat. Den Barren Zinn habe er unserem Onkel Martin gestohlen.

 

Und warum hast du das Häckla weggeworfen? will ich wissen.

 

"Ja" sagt er " vielleicht im Vorgriff auf die Zukunft, weil man doch sagt die Haare eines Zimmermanns sind so lang wie er seine Hacke werfen kann..."

 

Ich habe einige Tage nachgedacht über diese Sentenz und komme zum Schluß daß damit die Schwächlichkeit der Zimmerer beschrieben werden soll. Sie können ihre Axt eben nur maximal 50 cm weit werfen. Das ist verwandt mit der Aussage daß nach dem gemeinsamen trinken von Gerüstbauern und Maurern es immer die Gerüstbauer sind die auf den Maurern nach hause reiten....

 

"Ach" sage ich.

Und er habe ja später, sagt er, eine Zimmererlehre angefangen.

Mir fällt die Feuerwehraxt meines Vaters ein. Was aus der geworden sei, frage ich.

Ein schönes Stück, eine Seite Klinge, andere Seite Vierkantdorn, sah richtig gut aus.

Ja, die habe mein Vater abgeben müssen als wir aus dem Haus in Kulmbach-Blaich ausgezogen seien.

Bei der Feuerwehr? Will ich wissen.

Nein, bei dem Onkel Martin. Dem habe er auch die Hälfte seines Schatzes aushändigen müssen.

Onkel Martin war der Ehemann meiner Tante Anni, Schwester meines Vaters. Nachdem deren erster Mann im 2. Weltkrieg gefallen war hatte man ihr als Ersatz den Onkel Martin aus Eggolsheim mitgebracht. So war das damals. Onkel Martin war katholisch was für die Zeit und den Ort eine totale Regelüberschreitung war. Der Onkel hatte es mit der Tante nicht einfach weil die diese Leidenschaft für Amphetamine hatte. Sie schlich gerne nachts mit blanker Machete durchs Haus. Wo die wohl herstammte?

Der Schatz meines Vater habe aus Zinntellern bestanden, führt mein Bruder aus und sei im Hühnerstall aufbewahrt worden und er – unser Vater – habe ihm – meinem Bruder – diese Teller oft gezeigt. Er sei sehr stolz auf seine Teller gewesen und die Hälfte davon läge jetzt im Schrank im Häuschen wo mein Bruder und meine Mutter leben.

So verhält sich das also.

Vielleicht sollten wir bei einem nächtlichen Ausgang durch Kulmbach den Bahnhof meiden, vielleicht sollten wir Erwin aus seinem dementen Stupor holen, weil ja immerhin das wesentliche Teil des Beils, der Kopf, mir gehört. Auch wenn ich dreißig Jahre nicht daran gedacht habe.

 

Berliner Polizei Pressemeldung   Eingabe: 09.03.2014 - 09:45 Uhr

Räuber in die Flucht geschlagen Charlottenburg/Wilmersdorf # 0556
Ein Angestellter eines Geschäfts in Charlottenburg hat gestern Abend einen Räuber in die Flucht geschlagen. Gegen 18.30 betrat ein Maskierter das Tabakwarengeschäft in der Rognitzstraße, ging direkt auf den 21-jährigen Angestellten zu, drängte ihn zum Kassenbereich, schlug ihm mit einer Pistole auf den Kopf und forderte ihn auf Geld herauszugeben. Der Angestellte kam der Aufforderung nach und gab dem Angreifer Geld. In einem unbeobachteten Moment griff er jedoch nach einem unter dem Tresen abgelegten Fleischerbeil und holte es hervor. Dadurch erschrak der Räuber, geriet
in Panik und ergriff sofort die Flucht. Bevor er den Laden verlassen hatte und in Richtung S-Bahnhof Messe Nord flüchtete, verlor er seine gesamte Beute. Die Kriminalpolizei der Direktion 2 hat die weiteren Ermittlungen übernommen.


und:


Einige Tage nach dem Telefonat traf ich meinen Bruder in Person. Das war aus verschiedenen Gründen merkwürdig, weil meine Mutter im Krankenhaus lag und wir so das Haus für uns hatten und es ganz alleine bespielen mußten.

Mein Bruder teilt gerne Witze mit (hab ich an anderem Ort bereits berichtet) die in den Werkstätten für Behinderte im Umlauf sind. Witze die derart an den Grundfesten des humanistischen Menschenbildes rütteln daß sie an dieser Stelle nicht weitergegeben werden können.

Ich war bei einer aktuellen Neulektüre der Werke von Bret Easton Ellis auf einen Witz gestoßen und wollte den nun meinem Bruder erzählen.

Und begann: 'Enrique Iglesias...', mein Bruder winkte ab, ich hatte ihm den schon einmal vor 20 Jahren erzählt. (Auch diesen Witz werde ich hier nicht präsentieren).

Es läßt sich nicht ausschließen daß er ein fotographisches Gedächtnis hat.

In den 50er Jahren war es in Ordnung daß die Welt nicht in Ordnung war. Ich hatte einen Freund – Horst 'Horsti' Zapf. Der war ein uneheliches Kind. Dabei aber eine vollkommen angenehme Person, lieb im Umgang, höflich, fleißig alles was man sich damals von einem Jungen wünschte. Das Problem was die Nachbarn hatten war daß man ihm nichts aber auch gar nichts vorwerfen konnte. Das galt auch für seine Mutter. Die Konstellation alleinerziehende Mutter/uneheliches Kind wurde als grundsätzlich problematisch betrachtet. Das galt aber für Horstis Mutter und ihn nicht. Sie lebten ganz zufrieden im Haus der Großmutter, die Mutter arbeitete, ja man hörte sogar daß der verheiratete Vater von Horst sich um den Sohn kümmerte und für dessen Zukunft sorgte.

Das spielte sich in Kauernburg ab. Kauernburg liegt auf dem halben Weg nach Kauerndorf eine Ortschaft die einmal mit dem besten Wahlergebnis Deutschlands für die NPD aufgewartet hatte.

Vielleicht hängt es damit zusammen daß die Kinder Kauernburgs häufig in den Wäldern die das Dorf säumten Caches mit Waffen aus dem kaum vergangenen Reich fanden.

Wir Kinder von Kulmbach Blaich waren trotz intensivsten Einsatzes nicht in der Lage derartiges zu finden, obwohl wir eifrig suchten angetrieben von tiefer Sehnsucht.

Ich habe eine Erinnerung daß ich durch die Vermittlung meines Freundes Horsti an einen solchen Kauernburger Kinderzirkel assoziiert worden bin. Mir als Außenstehenden wurde das schäbigste Fundstück zugeteilt. worden ist. Ein Messer (keinesfalls militärischen Ursprungs) schwer angerostet, ein glanzloses Stück. Ich sehe mich verdrossen da sitzen und versuche die Klinge mit einem kleinen Pflasterstein zu schärfen.

>> Gegenwart. Mein Bruder und ich besuchen meine Mutter im Kulmbacher Krankenhaus. Der Besuch ist zu Ende, wir sitzen friedlich vor dem Krankenhaus auf einer Bank und warten auf den Bus, den wir beide umsonst benutzen dürfen. Weil ich der Begleiter meines behinderten Bruders bin, was ihm große Freude bereitet.

Sarah, meine große Tochter, seine Nichte überlegt ob man nicht eine App schreiben kann die das ausnutzt. Behinderte begleiten Geschäftsleute auf ihren Geschäftsreisen (die allerdings nicht in ICEs stattfinden können weil dort diese Regelung nicht greift) diese Fahrten hätten mehrfachen Nutzen, der Behinderte und der Geschäftsmann lernen sich kennen, verstehen und schätzen, der Behinderte verdient sich ein wenig dazu, und der Geschäftsmann lernt die Freuden des Langsamtransports kennen, lernt sein Land besser kennen anhand der vielen kleinen Bahnhöfe.

Wir blicken, da das Krankenhaus weit oben an einem Hang liegt auf Kulmbach, blicken auf Kulmbach-Blaich, auf die Auferstehungskirche unterhalb von der steht das Haus in dem wir aufgewachsen sind.

Den Kirchturm krönt ein vergoldeter Wetterhahn. Vergoldet, nicht aus massiven Gold. Für mich eine frühe Enttäuschung (Enttäuschung verstanden als zweistufiger Prozeß, bestehend aus Verlust und anschließendem Gewinn). Als ein Sturm den Hahn abgeknickt hatte rannte ich schnell den Hang hoch um mir ein Stückchen Gold zu sichern zu sichern. In meinem Kindersinn hatte ich geglaubt der Hahn müsse aus massiven Gold bestehen. Fand aber nur abgeblätterte Farbstückchen mit dünnem Blattgoldüberzug.

Mein Bruder erzählt mir von dieser kleinen Begebenheit. Erzählt weiter ich hätte bei der Kirche in einem Rohr ein Bajonett verborgen, eine Waffe die ich von den Kauernburgern abgefaßt hätte.

Ich kann mich nicht erinnern. Ja, erzählt er weiter, er habe das gesehen und meinem Vater Bescheid gegeben, der habe die Waffe sichergestellt und die Klinge mittels eines Hammer zertrümmert. Wegen des zurückliegenden Krieges, wie er sich undeutlich ausgedrückt haben soll, hätten viel Unheil angerichtet, die Waffen. Ich erinnere mich an meinen Vater eher als Einen der als Flakhelfer den Krieg ziemlich genossen hat. Nun, ich will die Erinnerung meines Bruders nicht in Zweifel ziehen. Aber manchmal denke ich, daß wir zwei verschiedene Väter hatten, rein physisch in einem Körper vereint.

Der Bus kommt, ich gebe den Begleiter, eine lange, umweghafte Fahrt durch Kulmbach beginnt die uns zum Haus unserer Mutter führt. Wir vertragen uns und lassen uns von Jugendlichen die mit uns im Bus sitzen anstaunen. Wir mimen fürchterliche alte Männer, und ich kann nicht ausschließen daß das – zumindest mir – gar nicht so schwer fällt.

 

SPÄTER

 

July, ich bin wieder in der alten stadt am Main, die immer mehr zur Welthauptstadt des Mürben und Morschen wird. In der Bayrischen Rundschau dem Lokalblatt finde ich diesen Artikel:

 

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