W E I S T Ü M E R
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W E I S T Ü M E R

Der Erdrutsch (ein mentaler Vorgang)

 

Der folgende Text hat sich mir in den langen Nächten aufgedrängt denen ich kürzlich anläßlich eines Krankenhausaufenthaltes wegen einer Karzinomentfernung ausgesetzt war.

 

Der eine Vater (meiner)

Meine Eltern hatten sich vor langer Zeit ein putziges Häuschen gekauft. Das Badezimmer (mit der einzigen Toilette) und Schlafzimmer befanden sich im Obergeschoß.

Die Arthritis meines Vater verschlechterte mit den Jahren so Folge daß er die Treppe nach oben nur noch unter allergrößten Schwierigkeiten benutzen konnte. Die Enge des Hauses erlaubte auch keinen Einbau eines Treppenlifts.

Mein Vater, immer besessen vom Technoflash, (Seine Lieblingsbaumaterialien waren VA-Stahl, Eichenbohlen und 12-er Dübel) kam auf die Lösung: Unter der Decke im ersten Stock wurden zwei Alu-Profile in die Wände eingelassen, so daß man eine kleine elektrische Winde aus dem Baumarkt darauf hin und herfahren konnte. An das Windenseil befestigte er einen Traktorsitz mit einem Sicherheitsgurt, und so konnte seine Frau ihn jeden Morgen nach unten fahren und zum Schlafen wieder nach oben.

Das ziemlich aufwendiger Vorgang, der die Toilettenbenutzung sehr erschwerte.

Deshalb beschloß mein Vater auf der Terrasse hinter dem Haus ein winziges Gartenhäuschen (Bausatz aus dem Baumarkt) zu errichteten, montierte in diesem eine Toilette (und zwei, drei Werkzeugregale).

Unser Kind – seine Enkelin – war als Großstadtkind mächtig beeindruckt von dieser verwegenen Konstruktion und aus Gründen die ich nicht mehr recht erinnere bürgerte sich als Name für das Hüttchen "das schöne Clo" ein.

Das Häuschen war geschmückt mit einem kleinen grobgezeichneten Bild (fotokopiert und handkoloriert), das zeigte zwei streitenden Malocher (nicht besonders realistisch dargestellt) die aufgeregt auf ein technisches Versehen hinwiesen.

Die Streitenden waren die Vorarbeiter von zwei Gleisbaurotten die den Auftrag gehabt hatten von verschiedenen Seiten aus zwei Gleise aufeinander zu zubauen.

Nun am Treffpunkt stellt sich heraus daß die Gleise versetzt aufeinander stoßen: Nur die jeweils linken Schienen treffen sich, die rechten laufen ins Leere!

Darunter folgendes kleine Gedicht. Als Clara klein war mußten wir es ihr vorlesen, später las sie es selbst immer und immer wieder und hat es sich schließlich abgeschrieben und hält es heute mit 29 immer noch in hohen Ehren.

 

Und wieder ist ein Tag vollbracht,
Und wieder nichts als Mist gemacht,
Doch nun schlaft wohl ihr Sorgen,
Leckt mich am A.... bis morgen,
Und morgen mit dem selben Fleiße
Geht`s zurück an die selbe Sch.....

 

So die Version des kleinen Reimes wie er im schönen Clo zu finden war. Was Clara schätzte war der sensible Umgang mit Wörtern, weil sie im Kindergarten ja gelernt hatte daß man Ausdrücke dringend vermeiden muß. Und die subtile Art die eigentlich unkenntlich gemachten Worte mittels Pünktchen und Reim wieder in Kraft zu setzen das imponierte ihr mächtig.

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Die Achse

Bob Dylan, der große Sohn Minnesotas hat einmal in einem sehr frühen Stück (I'll keep it with mine)

 

Welches er übrigens nicht selbst veröffentlicht hat, die frühen Fassungen stammen von Judy Collins (1965) und Nico (aka Christa Päffgen) 1967

 

folgenden bedenkenswerten Satz niedergelegt, dessen Tiefe und Weiterungen sich mir erst nach und nach erschlossen haben:

 

"The Conductor, he's weary, he's still stuck on the line".

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Viel später (Ich treffe einen Schaffner):

Im Jahre 2003 war ich vom BBW (Brandenburgisches Bildungswerk) beauftragt eine Schar von verschiedenst gealterten (in Jahren und Stil) Männern, die auf alle erdenklichen Weisen auf dem Arbeitsmarkt gestrauchelt waren zum Lehrabschluß im Gerüstbau zu verhelfen. Das fand statt in Merseburg, Sachsen-Anhalt.

Der Merseburger als solcher ist einer der wirkt als habe man ihm gerade eins mit dem Basie (coll. für Baseball-Schläger) übergezogen. Er ist verstört weil das Mitteldeutsche Industrierevier mit einem Schlage verschwunden war und damit sein wirtschaftliches Fundament.

Lothar, ein Umschüler in den frühen Fünfzigern der täglich aus (Lutherstadt) Wittenberg einpendelte war anders, aufgeweckt, zugewandt, freundlich.

Er erzählte mir seine Geschichte:

Als junger Mensch hatte er bei der Reichbahn gearbeitet und es schnell zum Schaffner gebracht. Und zuerst war alles frisch. Er konnte das so überzeugend mitteilen, diese Frische, wenn der Zug morgens losfuhr, in den Sonnenaufgang, und alles neu und unvertraut war, die Menschen die von A nach B wollten oder auch mußten, die Landschaft die sich entlang der Strecke entrollte. Auch die Abende in den Eisenbahnerheimen, wenn die Dienstpläne es notwendig machten auswärts zu übernachten.

Doch: dann irgendwann einmal war alles vertraut, zu vertraut, ein schleichender Prozeß, das Feuer das den Dingen die neben den Schienensträngen gebrannt hatte war erloschen, die zu kontrollierenden Gesichter zu bekannt und zu grau. Die Nächte in den Eisenbahnerwohnheimen hohl und belanglos.

Und was bleibt dann? Der Weg führt wie durch einen gnadenlosen Trichter zum Alkohol, ein chemischer Stoff der in verschiedenen Narrenkostümen angeboten wird und die nur verhehlen sollen daß es das gute, alte Zellgift ist, dessen sichere Tröstungen mit einem sicheren Preis kommen.

So geschah es daß Lothar beim BBW landete und zweifelnd auf eine vom Amt versprochenen lange glückliche Kariere im Gerüstbauhandwerk hoffen mußte.

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Noch später (ich treffe einen weiteren Schaffner)

Meine Frau und ich waren und sind große Freunde des Schaffens von MAK (Musica Antiqua Köln) unter der Leitung des unvergleichlich exaltierten Reinhard Goebel. Wenn wir es einrichten konnten besuchten wir die Konzerte dieser Formation. Meist grandiose Erfahrungen, musikalisch, aber auch ansonsten lohnend weil der Meister mit den Angehörigen des kulturellen Standes des Beitrittsgebiets nicht exakt auf einer Wellen- länge lag was immer wieder zu merkwürdigen Irritationen führte.

Schade daß es MAK nicht mehr gibt und uns nur die Aufnahmen bleiben.

Nach einem Konzert in Torgau kamen wir mit dem Schaffner des Regionalzug von Torgau nach Wittenberg ins Gespräch.

Der Beamten entpuppte sich als der ehemalige Vorgesetzte von Lothar. Offen und zutraulich kamen wir miteinander ins Gespräch.

Er erzählte: "Ja, ja, der Lothar...." und sein Blick umflorte ein wenig. Er bestätigte uns genau das was Lothar erzählt hatte, lobte Lothar dafür was er doch für ein großartiger Kerl gewesen und es im Prinzip immer noch sei. Aber, die Strecken, die Schienenstränge, die Eisenbahnerheime, die Jahreszeiten und der Alkohol....

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Forever stuck on the line...

Ich bin ein Mensch tiefst eingegrabener Gewohnheiten. Wenn ich es einrichten kann – und ich bin immer bemüht daß ich es so einrichte daß ich es einrichten kann – höre ich nachmittags ab 16:30 Deutschlandfunk. Die Wissenschafts- die Wirtschafts- die Kultursendung.

Ich vermeide die Büchersendung zu hören die bereits um 16:00 startet.

Diese Sendung ist mir unheimlich. Weil ich eigentlich gerne lese.

Jedoch geschieht es daß ich aus Zerstreutheit oder Ungeduld das Radio etwas eher einschalte und dann doch die Turnübungen der Kritiker mitbekomme die sich da mehr oder weniger munter an fremden Texten abturnen.

Samstags ist das kritischer weil meine Frau aus beruflichen Gründen die Kinderbuchsendung hören muß, so daß ich es nicht immer vermeiden kann mich den quietschig bemühten oder auch vielsagend- raunenden Reden der Moderatorinnen auszusetzen.

Dann zwingt mich eine mich eine Zwangsvorstellung in ihre unbarmherzige Umarmung: wie diese Personen einmal in der Jugend gerne gelesen haben, sich entschlossen haben das zum Beruf zu machen, und nun nicht mehr damit aufhören können, wie sie immer weiter lesen müssen, das Zeugs was sie gelesen haben irgendwie finden müssen, sich dazu Worte, Sätze herauswürgen müssen und morgen?

Ja wie es anderswo heißt und morgen da geht es mit neuem Fleiße an die alte Sch....

Aber vielleicht bin ich nicht gerecht, und zu wissen was morgen ist ist ein tiefer Trost, weil so eine Brücke in die Ungewißheit gebaut wird.

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Der andere Vater (der des Moderators)

Nach der erfolgreichen Entfernung eines Karzinoms aus meiner linken Niere liege ich am letzten Samstag (01.12.12) in meinem Krankenbett. Ich schalte das Radio ein wenig zu früh ein und lausche dem Rest Kinderbuchsendung des Deutschlandfunks. Hajo Steinert und Ute Wegmann – die Hohepriesterin des Raunens – spielen sich matt und lustlos die Bälle zu. Besprochen wird ein Buch in dem es um Nahrungsmittel geht, immerhin fällt den Vortragenden auf daß es streng für unsere, die erste Welt bestimmt ist, der launige Titel

 

Alles lecker
Von Lieblingsspeisen, Ekelessen, Küchendüften, Erbsenpupsen, Pausenbroten und anderen Köstlichkeiten

 

wirkt inspirierend auf die beiden, man hakt sich an dem Begriff Erbsenpupsen fest.

Herr Steinert räuspert sich und teilt mit auf der Toilette der Steinert-Family (als er ein Knabe noch war) habe sein Vater einen Aushang installiert auf dem zu lesen war

 

Erbsen und Linsen

Lassen's Arscherl grinsen

 

Ja fügt Herr Steiner dazu, eine irritierte Nachdenklichkeit griff wie ein müder Harfner in seine Stimmbänder. "Mein Vater, der hatten schon einen solchen Humor!"

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