W E I S T Ü M E R
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W E I S T Ü M E R

Erinnerungen an Hans B.

 

Lange her (1968) / weit, weit weg in dieser verwunschenen Stadt auf die 'die Burg als treue Freundin herabschaut, so stolz und schön' wie es in einem lokalen Lied heißt.

 

Hans B. war ein ungebärdiges Kind. Spät älteren Eltern geboren, sah er nicht wenig archaisch aus, fliehende Stirn, knöcherne Buckel über den dichten Brauen, er hätte ein Milchbruder des missing link sein können. Die Kinder aus der Straße in der er mit seinen Eltern lebte nannten ihn deshalb Affen-Bartl.

Ungebärdig, nicht zu zähmen. Seine Großmutter – so erzählt man sich – trug noch im Sarg die blauen Flecken die Hansl ( so nannten ihn seine Eltern) ihr zugefügt hatte indem er mit Holzscheiten nach ihr warf.

Ich weiß das weil meine Großmutter die Zugehfrau dieser Familie war. Manchmal wenn Hansl gar zu ungebärdig wurde wies man sie an ihn zu bändigen. Sie ging dann mit ihm ins Nebenzimmer und versetzte ihm dort ein paar Ohrfeigen. Das brachte Hans wieder für einige Zeit zur Raison. Hansl trug das meiner Großmutter nicht nach, im Gegenteil: er brachte ihr immer die größte Hochachtung entgegen.

Ich lernte Hans kennen – eben 1968 – als wir begannen gegen die Gesellschaft zu rebellieren. (...we only wanna break the chains of society .... wie es in einem zeitgenössischen Lied heißt).

Wir, das war ein jahrgangs- und klassen- (nicht im Marxschen Sinne) übergreifender Verband von Einzelkindern (ich der einzige mit Geschwistern ausgestattet und deutlichen Blue-Collar – eher noch Dirty-Collar – Wurzeln) die sich mühselig in Richtung Abitur bewegten.

Gut - wir haben sie nicht gebrochen (die Ketten), aber ... gerasselt mit ihnen haben wir schon ein wenig.

Hans war sensibel.

Als wir uns kennenlernten wußten wir wenig über ihn. Wir hatten ihm eine Art Vorschuß eingeräumt - fragten nicht nach seinem Herkommen - und gingen davon aus daß seine offenbare Merkwürdigkeit der Lektüre von Nietzsche und Freud geschuldet war. Seine Angewohnheit den Arm schräg hochzurecken, die Hand anzuwinkeln, sie anzustarren, dann mit der Hand zu wedeln und sich darauf zu fragen warum er das gemacht habe erschien uns im höchsten Maße kontraproduktiv.

Wir meinten daß solche Übungen für seine Merkwürdigkeit verantwortlich waren.

Seine Vorgeschichte habe ich erst später erfahren. Meine bereits erwähnte Großmutter konnte dazu viel beitragen als sie erfuhr mit wem ich nun befreundet war.

Da begann ich zu begreifen daß Hansens mentale Unsitten nicht für seine Merkwürdigkeit verantwortlich waren, sondern daß diese Unsitten die Folge einer ins Seltsame gegründeten Fundamentierung in seiner Kindheit waren.

Meine Großmutter trug weiter bei daß bereits seine Mutter – ein spätes Fräulein – als seltsam galt.

Seine Eltern hatten ein Haus gebaut, in idyllischer Lage traulich an den Hang unterhalb des Kulmbacher Friedhofs geschmiegt. Die Zufahrt zu diesem Anwesen war wegen dessen Lage problematisch. Hansens Vater hatte in der Voraussicht daß er – Hans - älter werden würde und Besuch von seinen Freunden – diese wiederum unter Umständen motorisiert sein würden – erhalten könnte, einen Parkplatz vorgesehen. Dieser Parkplatz war in den Hang eingeschnitten und hatte die genauen Ausmaße einer Autolänge und einer Autobreite. Man hätte das hypothetische Fahrzeug also quer auf diesen Platz schieben müssen um es zu parken.

Das war eine der Strophen den andauernden Klageliedes was Hans sang. Seine Eltern, was die so machten, was die so dachten, was sie sich so gedacht hatten.

Eine weitere Strophe des Liedes drehte sich um eine Ameisenstraße die durch das Wohnzimmer führte und die – das erregte Hans am meisten – ihren Ausgang aus einer immer noch stromführenden Steckdose nahm. Der Anteil der Eltern an diesem tierischen Migrationsphänomen war nicht klar.

Die Hauptstrophe seines Liedes aber handelte von einen  Zettel den er eines Tages im Beisein von uns, den Mitstreitern in Sachen zu brechender Ketten, auf dem Küchentisch vorfand. Mutter B. teilte der Zugehfrau (nicht mehr meine Großmutter) folgendes mit:

 

"Frau XXX, vergessen Sie bitte nicht das Igeleschälchen rauszustellen."

 

Man könnte nun meinen das sei ein harmloser Satz, aber von nun an murmelte Hans häufig mit einer Betonung zusammengesetzt aus Fassungslosigkeit und kaum unterdrückter Aggressivität das Wort

 

IGELESCHÄLCHEN

 

vor sich hin.

IGELESCHÄLCHEN – ein Wort welches sich nebenbei bemerkt sich weder im Grimmschen Wörterbuch noch im Internet findet, das bei genügend häufiger Wiederholung aber doch etwas Bedrohliches annimmt.

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