W E I S T Ü M E R
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Hard Sell

 

Manchmal geschieht es daß etwas mit einem Schlag helles Licht auf Vergessenes wirft.

Um eine CD-Rom zu versenden, wandte ich mich an ein in einer Mall gelegenes Finanzcenter der Postbank. (Berlin Charlottenburg / Wilmersdorferstraße). Normalerweise ist dort immer ein gewaltiger Auftrieb schlecht gelaunter Kunden, es wird begeistert gekeift, dabei auch unbedingt mißgünstig die konkurrierenden Kunden gemustert. Das Personal ist gezwungen eine Art Uniform zu tragen um so eine Anmutung von Flott zu erzeugen. Das mißlingt, auch kosmetische Maßnahmen wie Strähnchen ins Haar färben oder sich schneidige Bärtchen ins Gesicht wachsen zu lassen helfen nicht. Die Wesen hinter den Servicetresen wirken so als seien sie fehlbesetzt, als zwänge man sie auf zu dünnem Eis unterwegs zu sein.

Aber an diesem Tag, es war gar nicht mal so früh, war ich der einzige Kunde, was mir in den letzten 4 Jahren – solange gibt es diese Mall schon – noch nicht passiert war. Drei Angestellte standen hinter den Tresen und bemühten sich um unauffälliges Vorhandensein.

Ich trat auf eins dieser Wesen zu, in einer Aufwallung von Mutwillen auf das welches ich noch nie hier gesehen hatte.

Es war weiblich, stattlich, jung, trug eine blonde helmartige asymmetrische Frisur. Ausgestattet hatte sie sich – wahrscheinlich als modisches Statement – mit einer schweren schwarzen Brille.

Unvermuteterweise entwickelte sich ein Verkaufsgespräch wobei diese Personalperson die Notwendigkeit einen Brief der nur eine simple CD-Rom enthielt mit einem Porto von € 1.45 zu versehen mit Din-Vorschriften begründete, deren Alter ins Ehrwürdige spielte.

Das Verkaufsgespräch war zu Ende, ich zahlte, zog mich aus der Dyade vor/hinter dem Tresen zurück, wollte gehen.

Da hörte ich ein leises Flüstern, ich wandte mich, die junge Frau hinter dem Tresen war die Verursacherin. Sie hatte den Blick gesenkt, ihr Gesicht war ein wenig gerötet. Sie vermied es mich anzusehen.

 

"Möchten Sie Ökostrom?"

 

sagte sie, leise, ganz leise. Ich spürte einen Abgrund und sagte schnell – mit aller Sicherheit die ich aufbieten konnte - hätten wir schon und drehte mich zitternd um und verließ die Filiale. Und auf der Rolltreppe begannen Erinnerungen mich zu überwältigen:

Wir leben auf einem Abschnitt der Kantstraße in Berlin der parallel zur Leonardstraße verläuft. Diese Leonardstraße mündet in den Stuttgarter Platz ein und zwar in den Teil der nicht zum Rot-Licht-Milieu gehört.

Dieser Teil des Platzes und die anschließende Straße wirken so als sei dort der Krieg vorbei und die Guten hätten gesiegt. Als trennte man dort den Müll aus Einsicht und immer richtig, und stimmte überein daß Diskriminierung jeder Art ein todeswürdiges Verbrechen sei.

Als wir 1982 in unsere Wohnung einzogen begann eine Renovierung die im Prinzip heute noch nicht beendet ist. In der Leonardstraße – damals war der Krieg noch nicht entschieden, der Anteil der Lehrer an der dortigen Bevölkerung hielt sich noch in Grenzen – lebte ein Tischler. Der hieß Alois Poglitsch, stammte – Wikipedia lügt nicht - aus dem tiefen Österreich und sah definitiv schratmäßig aus. Er führte einen Laden mit Heimwerkerbedarf und fertigte auch Holzzuschnitte an. Einige Jahre lang war ich nun zufriedener Kunde von Pogi – wie er genannt wurde und auch sich selber nannte.

Dann aber kam der Tag. Wieder einmal war ich dort Kunde gewesen, hatte meine Transaktion abgeschlossen, wollte gehen, da räusperte sich Pogi und würgte einen Satz heraus:

 

"Meinen Sie nicht daß Sie zu viel Steuern zahlen....?"

 

Wie eine übergroße eisige Woge schlug Panik über mir zusammen. Mir war klar – ohne daß ich hätte nachdenken müssen - daß Pogi einem Financial-Wizard mäßigem Schneeballsystem zu Opfer gefallen war. Das war damals gerade Mode.

Ich sagte, nein fände ich nicht, nee, könnte ich eigentlich nicht sagen, uns würde es an nichts mangeln, wir zahlten gerne Steuern, sei doch in Ordnung, und er solle doch mal sehen was mit den Steuern gemacht würde, Polizei, wegen der Sicherheit, Straßen um drauf zu fahren, Kultur, na ja, weil, weil ... Kultur sei eben gut...

Pogi sah mich versteinert an, Ratlosigkeit wie Frost in seinem Gesicht.

Die Schulung der er sich sicher hatte unterziehen müssen sah den Fall jemand würde die Frage verneinen nicht vor.

Ich verließ den Laden, Aufruhr in den Eingeweiden, niedergedrückt von dem Gefühl Anteil an etwas gehabt zu haben was ich hinter die hohen Zäune meines Vorstellungs- vermögens verbannt hatte.

Nie wieder kaufte ich bei Pogi ein, Von nun an nahm ich den langen Weg zu Hertè in der Kaiser-Friederich-Straße dem Baumarkt wo die hochdepressiven Verkäufer sich vor den Kunden fürchten, wo es aber auch eine größere Auswahl und billigere Preise gibt.

Später hat Pogi seinen Laden geschlossen und als Pogis Getränkeoase wieder eröffnet. Es gibt ihn heute noch. Wage ich es die Leonardstraße zu begehen vermeide ich durch die Schaufenster der Oase zu blicken. Manchmal aber – wenn mir keck zumute ist – blicke ich aber dreist durchs Glas, starre Pogi an und gebe ihm zu verstehen daß wir uns nicht kennen.

Aber, das war nicht die einzige drückende Erinnerung, die mich auf der Rolltreppe befiel.

In der Leonardstraße gibt es nämlich noch das Taj Mahal, ein indisches Eßlokal. Als wir jünger waren, mutiger, wohl auch einkommensstärker, waren wir dort häufiger um zu Essen. Im Lauf der Jahre, wie gesagt der Krieg war zu Ende (zumindest in der Leonardstraße) die Zahl der Lehrer dort hatte zugenommen, bei den Wahlen errangen die Grünen in dieser Straße 83 % (17 % gingen an die FDP) kam ich nach und nach zur festen Überzeugung daß der indische Rahmkäse (Matta Paneer) der dort serviert wird nicht original ist sondern daß man einfach schäbiges Sojazeugs zum Einsatz bringt. Außerdem hatte ich auch das Empfinden daß die zum Fritieren benutzten Fette nicht meinen (zu) hohen Ansprüchen entsprachen, daß die einfach zu lange benutzt wurden was den Speisen eine gewisse kristalline Knusprigkeit verlieh.

Ich begann mich zu weigern dort Essen zu gehen, was meiner Frau nicht gefiel. Wir fanden einen anderen Inder im Viertel wo es mir besser schmeckte. Der meiner Frau aber nicht richtig gefiel.

Als wir dann zu einer Gelegenheit unsere Tochter und deren Freund zum Essen einladen wollten, ergab sich wegen der Örtlichkeit angeregte Auseinandersetzung die von meiner Frau gewonnen wurde.

Wir suchten nach langer Zeit wieder das Taj Mahal auf.

Wir setzten uns. Der Kellner, ein zierlicher Inder, der seinen sicherlich hohen IQ hinter einem strahlend freundlichen Lächeln verbarg, wir kannten ihn schon lange, baute sich vor uns auf und sagte:

 

"Na, ihr wart ja lange nicht mehr da!"

 

Das war ja nicht falsch, mir aber wich das Blut aus dem Hirn, ich sah wie sich Entsetzen im Gesicht von Max breitmachte und Clara zu Boden blickte als suche sie dort die Luke die Entkommen versprach.

Meine Frau – wie stolz war ich in diesem Moment der Mann von ausgerechnet dieser Frau sein zu dürfen - ließ sich nichts anmerken.

Hinterher gab es eine lange, sehr lange Diskussion über den Vorfall – ob es erlaubt sei entsetzt gewesen zu sein, ob man sich so cremetörtchenartig haben dürfe. Wir stimmten überein daß das Essen eher flach und banal war, ich versuchte vom falschen Matta Paneer zu sprechen. Doch immerhin - meine Frau zeigte Einsicht, vielleicht war es auch Mitleid: nie mehr muß ich ins Taj Mahal.

 

 Pogis Heimat

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