W E I S T Ü M E R
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Das Unwissen der Prüfer

Klaus B. – der sprichwörtliche bunte Hund war verglichen mit ihm ein hinter dicken Grauschleiern verborgener farbloser Welpe – litt unter dem schlimmen Ruf des Gerüstbaus. Klaus B. war der Geschäftsführer der feinsten Gerüstbaufirma Westberlins, im  Gewerbe erzählte man, er sei einmal ertappt worden als er haarekämmend vor einem Spiegel stand und dabei vor sich hin sang:

 

"Ich bin der schöne Klausi und kämme mir mein Haar!"


Weitere unzählige Legende ranken sich ihn, ihm ist zu verdanken daß im Gerüstbau ab Anfang der 80er Jahre geschult, weitergebildet, umgeschult worden ist – mit Höchstdruck. Später ist sogar auf sein Betreiben hin der Gerüstbau zum Lehrberuf gemacht worden.

 

Warum die Maßnahme - der gemeine Gerüstbauer wird aufschult zum Geprüften Gerüstbauobermonteur – in Coburg stattfinden mußte ist nicht bekannt.

Unser Betrieb entsendet vier Beschäftigte, mich, Wolfgang 'Ninja' Imm, Ralf 'Ralfi' Stange, Hans 'Hansi' Dallmer (aus einer bekannten Gerüstbauerdynastie, der Vater berühmt weil direkt vom Alkohol zum neu-apostolischen Glauben konvertiert).

Vierfinger-Henry, der Präsi, damals noch bei Fa. Grosse (ob Rohr oder Sprosse, ein Gerüst von Grosse) ist neben anderen quasimythischen Gestalten aus der gleichen Firma dabei.

Auch ein Herr namens Biber ist entsandt worden. Biber ist der Zeugwart, oder wie man diesen Posten auch immer nennt, bei dieser Vereinigung von Kradfahrern deren Präsi Henry ist. Biber ist dafür verantwortlich daß fabrikneue Kräder so umgebaut werden daß man sich als Mitglied dieses Clubs damit sehen lassen kann. Er befestigt gerne an diesen amerikanischen Produkten Gewehrhalter, einmal so erzählt man, hat er eine Testfahrt mit Gewehr im Gewehrhalter unternommen und ist dabei von der übereifrigen Polizei einkassiert worden.

Die Maßnahme in Coburg dauerte drei Woche und schloß mit einer Prüfung ab. Zu unserem Erstaunen (ist doch der Gerüstbauer als solcher selbstverkündet härter als der Rest, und von Gerüstbauern die auf diesen speziellen überseeischen Krädern unterwegs sind erwartet man eine Steigerung dieser eigentlich unüberbietbaren Härte) hat Biber schreckliche Prüfungsangst.

Die Männer die die mündliche Prüfung abnehmen sind Männer aus dem Gewerbe, wirken wohlmeinend, sitzen zu dritt hinter einem Tisch, vor sich allerlei Papiere unter anderen die berühmte DIN4420, (in der Zwischenzeit abgelöst von der EN12811-1 und EN12811-2) damals auch bekannt als die Braut des Gerüstbauers.

Die Reihe kommt an Biber, nachdem zwei Kollegen schon auf dürftige Fragen (zum Beispiel wie groß wohl die zulässige Flächenpressung in der Gerüstgruppe 4 sei oder wie breit ein Gerüst der Gerüstgruppe 2 mindestens sein muß) und ähnlichen Klassikern schon dürftige, aber freundlich akzeptierte Antworten gegeben haben.

Biber ist nervös.

Er versucht stammelnd die Fragen zu beantworten. Das gelingt ihm nicht. Er wirkt wie ein ängstlicher, schlechteingestellter Motor im Leerlauf. Die Prüfer sind irritiert, fragen weiter, bauen Brücken, es ist ja nicht vorgesehen daß einer durch die Prüfung fällt.

Das hilft aber Biber nicht. Nach der vierten Frage springt er auf.

 

"Lassen Sie mich endlich in Ruhe, was wollen sie denn dauernd von mir, fragen sie doch mal die anderen!"


er geht nach vorne, greift die DIN 4420, dreht sie zu den Prüfern,

 

"und wenn sie was wissen wollen, da steht es doch drin, was müssen sie mich da fragen, das können sie doch selber lesen!"

 

Er verläßt türenschlagend den Raum. Wir wagen nicht zu lachen, als er uns aufgebracht – wir hatten vor der Tür gewartet – sein Erlebnis erzählt. Nicht mal Henry lacht.

 

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