W E I S T Ü M E R
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W E I S T Ü M E R

Vorhersage ein Wasserfahrzeug betreffend

 

1960 (etwa) Kulmbach, (Vorort von Kulmbach. Blaich)

Lange Zeit habe ich - in der Erinnerung - meine Kindheit in Kulmbach-Blaich verbracht. Mit dem Altern kam der Zweifel, eine Entwicklung vergleichbar mit dem Zurückfahren einer Kamera, wie von einem erhöhten Standpunkt sah ich die Örtlichkeiten anders, in größeren Zusammenhängen.

Dieser neue Blick entzieht mir einen Ort.

Wo habe ich damals gelebt? Unser Haus lag nämlich in der Blaicherstraße, also in einer Straße, die traut man dem Namen, zur Blaich führt. Sie verbindet, das sei kurz erwähnt die Blaich mit einem anderen Ortsteil Kulmbachs der Pörbitsch heißt.

Das Haus stand also in einem Dazwischen, nicht mehr Pörbitsch noch nicht Blaich

Wir sitzen also abends um den Küchentisch, ich, meine Mutter, meine Schwester, mein Bruder, wir hören Radio. Mein Vater ist fernfahren. Draußen ist es dunkel. Es klopft an die Küchentür. Herein kommt der Ständners Christian, ein entfernter Verwandter von Verwandten. Große Ratlosigkeit, was mag er von uns wollen? Ständners Christian ist nicht ansprechbar weil sturzbesoffen. Ihm wird Platz angeboten, er setzt sich, schaut stier im Kreis und redet wirres Zeugs, es ist nicht zu ermitteln was er will. Er ähnelt einem Bisamrattenrüden (?), lokal auch Wasserratz genannt, Zoologen wiederum sprechen diesen behenden jovial wirkenden Schwimmer hochtrabend mit Ondatra Zibethicus an.

40 Jahre später – die Begebenheit die ich hier erzählen will war längst in die abgelegenen Kavernen meines Gedächtnisses entschwunden - sehe ich zum ersten Mal ein Bild des Ministerpräsidenten von RheinlandPfalz, und alles ist wieder da. Die Wiederauferstehung des Ständners Christian, Ondrata zibethicus schwimmt wieder.

Anscheinend hat er (Ständners Christian) nach der Arbeit – er ist Zimmermann – fürchterlich einen gebrannt und da er einen langen Nachhauseweg hat – zu Fuß – hat er sich vielleicht überlegt bei uns Station zu machen (wir wohnen nur etwa 100 m von der Zimmerei entfernt, allerdings in der Gegenrichtung). Meine Mutter bietet ihm Kaffee an – ein ums andere Mal – das Angebot wird ein ums andere Mal abgelehnt. Das Radio spielt weiter, Ständners Christians Augen kreisen hilflos umher, einen Fokus können sie nicht finden .Er hat Mühe sich auf dem Stuhl zu halten. Er trifft murmelnd unklare Aussagen, und wackelt auf dem Stuhl umher.

Wir Kinder wissen nicht so recht was wir von der Situation halten sollen. Er ist wie gesagt ein Verwandter von Verwandten, die Verwandten mit denen er verwandt ist leben jedoch im Obergeschoß der Hauses in dem sich diese Szene abspielt. Vielleicht war er (durch den Einfluß von Alkohol) so verwirrt daß er nicht mehr dreidimensional denken konnte, ihm so das Konzept eines mehretagigen Hauses nicht mehr zugänglich war, die Existenz der eigentlichen Verwandten für ihn in eine Art Hyperkontinuum verschoben.

Das Radio spielt weiter, in der Zwischenzeit ist es bei der Hitparade des bayrischen Rundfunks angekommen. Es ist Freitag, es hat heute Lohn bar auf die Hand gegeben. Meine Mutter bietet wieder Kaffee an. Der wird wieder abgelehnt.

Da ertönt aus dem Radio Lale Andersen (könnte aber auch Nana Mouskouri gewesen sein) mit dem Stück : 'Ein Schiff wird kommen'.

Nun bricht Ständners Christian zusammen: er beginnt zu heulen und heult schniefend, daß er sich so schämt, weil er hier bei uns ist und nicht zu Hause, wo doch jetzt im Radio das Lieblingslied von seim Martinla (seinem kleinen Sohn Martin) gespielt wird. Er singt ein wenig mit: "Ein Schiiiieeef wird kooooomen....". Er steht schluchzend auf und wankt zur Tür, wendet sich noch einmal um und sagt:

 

"No ja Else wär scho schö gewesen wennst mer an Kaffee ongebuudn hättst!"

(Na ja Else er wäre schön gewesen wenn du nur einen Kaffee angeboten hättest!)

 

Dann ist er weg, wir springen ans Fenster um ihm nachzusehen, denn damals war das Fernsehen noch nicht erfunden, man mußte, wenn man etwas sehen wollte das nehmen was sich anbot, und da lag das Aus-Dem-Fenster-Sehen nahe.

Draußen ist es dunkel und die wenigen Straßenlaternen (gasgetrieben) können nur ungenügend den langen Heimweg vom Ständners Christian erhellen.

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