W E I S T Ü M E R
W E I S T Ü M E R
W E I S T Ü M E R

Väter (ihre Berufe)

 

Mutter die Bum sogn su Zeuch!" (Mutter die Knaben sagen Ausdrücke)

 

Beklagte sich meine Mutter in ihrer Jugend bei ihrer Mutter. Die sagte:

 

"Dann schaust halt ne hie!"

 

worauf meine Mutter sagte

 

"Dann hör ix ja net!"

 

Ja sie konnte nicht wegsehen, konnte nicht weghören.

Nach langer idyllischer Zeit kam das Fernsehen und damit Probleme. Eines quälte meine Mutter besonders. Die große Samstagabendshow die ohne das Fernsehballett nicht denkbar war. Die Gayness war stark in diesen Aufführungen, da aber zu der Zeit verbreitet unbekannt war daß so etwas möglich war, hatte man nur das Gefühl etwas nicht Einsortierbares zu sehen was aber etwas unabweisbar Unrichtiges hatte.

Meine Mutter machte sich Gedanken wie die Kinder der Tänzer (ach meine Mutter, welche Unschuld vom Lande!!) auf Befragen nach dem Vater sagen mußten:

 

"Mein Vater ist Tänzer!"

 

Aber nie konnte sie den Blick abwenden von den flirrenden Bildpünktchen die sich zu wirbelnden Körpern anordneten, die wiederum zu vollständig sinnfreien Szenen.

 

Mein Vater ist Tänzer.

 

Das war das Mantra des Entsetzens meiner Mutter.

Was war der Hintergrund?

In der Volksschule war alles klar, es mußten keine Fragen nach dem familiären Woher gestellt werden, alles war jedem bekannt (es gab ja noch kein Fernsehen). An der Kulmbacher Bubenoberschule, vulgo Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium, die Knaben aus Gesamtkulmbach und dem Landkreis sammelte war es anders. Zu Schuljahrbeginn wurden Informationen zur Person und zu deren Vorfahren erfragt. Das geschah mündlich. Der Knabe wurde einzeln aufgerufen, der Klassleiter stellte anhand einer Liste Fragen, die wurden beantwortet und verlistet.

In vollständiger Unschuld denn der Datenschutz war noch nicht erfunden. Zu welchem Ende die Daten gesammelt wurden wußte niemand.

Die berufliche Biographie meines Vater war undeutlich, deshalb gab es vor dem Datenerhebungstag Diskussionen in der Familie. Er hatte mit 14 widerwillig eine Zimmermannslehre begonnen, in der Zimmerei in der auch Ständners Christian tätig war, sich mittels einer Kreissäge zwei Finger abgesägt und war nur knapp einer Anklage wegen Selbstverstümmelung/Wehrkraftzersetzung entgangen. Brachte die Lehre trotzdem zu Ende. Weil er mit der verstümmelten Hand kein Gewehr bedienen konnte mußte er Schweinfurt – die Kugellagerfabriken mittels einer Flugabwehrkanone (Flak) verteidigen.

All seine Mühen waren umsonst, Schweinfurt fiel, dieser Krieg ging uns definitiv verloren.

Also Zimmermann. Allerdings war er in der Zwischenzeit auf dem Bau tätig in einer unklaren Position, damals war es so, daß jeder alles machte und irgendwie ging es trotzdem vorwärts.

Deshalb einigte ich mich mit meiner Mutter ich solle als Beruf "Fräser" angeben denn der stand in der Heiratsurkunde und in meiner Geburtsurkunde. Sohn des Fräsers, ja das bin ich. Mein Bruder wegen seiner speziellen Bedingtheit ist aber lieber Sohn des Zimmermanns.

Was die Aufgaben eines Fräsers sind war unklar. Mein Vater hatte nach dem Krieg in einem Betrieb gearbeitet der kriegsbedingt in die Provinz ausgelagert worden war (soeben erfahre ich – durch WIKIPEDIA – daß Südwerk eine Tarnbezeichnung für Krupp gewesen ist) und war dort als Fräser tätig gewesen.

Die Daten erhebenden Lehrer nahmen meine Information ohne nachzufragen hin.

Ein ruhiger unscheinbarer Klassenkamerad vom Lande wurde auf Befragen nach dem Beruf des Vaters rot, schluckte, der Lehrer nickte ihm aufmunternd zu und es brach aus dem jungen Mann heraus, ein wenig brüllend in einer Mischung aus Leid und Aggression:

 

Straßenkehrer!

 

Erschrockenes Staunen in der Klasse, am erschrockensten ist der Lehrer und sagt schnell,

 

" nein, nein, Städtischer Angestellter!"

 

So einfach war es damals, das Upgrade lauerte überall.

In der Klasse gab es einen durch und durch guten Knaben. Ernst-Martin K.. Seine Mutter, eine fromme Frau, sang mit meiner im Kirchenchor und hatte merkwürdigerweise einen anderen Nachnamen als der Sohn. Die Fünfziger und der Beginn der Sechziger waren eine geheimnisvolle Zeit. Ein Vater war nicht vorhanden.

Ernstlmann – wie die Mutter ihn nannte – war fromm. In einem Schuljahr wurde der Befehl ausgegeben es müsse morgens gebetet werden und jeder solle reihum ein eigenes Gebet beitragen. Es wurde gemurrt. Es kam zu wiederwilligen Vorträgen. Man hörte das Vaterunser, Freche sagten auf "Wenn ich abends schlafen geh..." oder ".... und segne was du uns bescheret hast" wieder andere trugen bescheidene Kurz- und Kürzestgebete vor.

Ernstelmann toppte alles. Er zog sich selbstverfertigte Gebete raus:

"Lieber Gott erst mal danken wir dir daß wir vorhanden sind, und gesund, und zu essen haben und eine Dach über den Kopf und die prima Schule hier....."

Und so weiter und so weiter, er ließ nichts aus. Und er meinte es ernst. Die Gebete dauerten. Und niemand nahm es ihm krumm.

Später ist er evangelischer Pfarrer geworden und sein Freund, der mit seinen Eltern auf der gleichen Etage wohnte ist ebenfalls Pfarrer geworden, allerdings katholischer.

Und nach vielen Jahren ging Ernstlmann durch die Medien. Er war irgendwo im brutalbayrischen gelandet und die lokale CSU forderte von ihm ein er möge das neu errichtet Spielkasino segnen. Ernst-Martin weigerte sich standhaft, die Einrichtung erhielt deshalb nur den Segen der anderen Konfession. Wie es der Einrichtung seither geht ist mir nicht bekannt.

Die Geburtsjahre in unserer Klasse lagen so etwa zwischen 1949 – 1951. Als nun bei Schuljahresbeginn wieder Fragen gestellt wurden und Ernstlmann an die Reihe kam sagte er in aller Unschuld auf die Frage nach seinem Vater der sei im Krieg (2. Weltkrieg) gefallen.

Atemloses höchst irritiertes Schweigen, stumm wurden Rechnungen durchgeführt, Augen niedergeschlagen, sich geräuspert aber nicht gelacht. Alle wußten etwas nur Ernstlmann nicht. Er war eben rein bis ins Mark und wir, einschließlich des Lehrers, die etwas wußten schämten sich ein wenig.

Vielleicht versteht man jetzt die Angst meiner Mutter, ihr voreilendes umfassendes Erbarmen - ihr Vorname ist nicht umsonst Else (die kluge Else!), ließ sie die unfaßlichen Männer sehen die geschmeidig sich verrenkten, ihre Abbilder von bildaufnehmenden Geräten auf die lange Reise zum heimischen Bildschirm schicken ließem, sah deren (höchstimaginären, aber sie wußte zum Glück zu wenig) Kinder in den Schulen, hörte die Frage und hörte die Antwort:

 

Mein Vater ist Tänzer!

Druckversion | Sitemap
© HeinzMünch/µ