W E I S T Ü M E R
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W E I S T Ü M E R

Eine weitere Diagnose

 

Kulmbach, kurz nach Erscheinen der zweiten LP von Wishbone Ash (» 1971).

 

Mir selbst war vieles entfallen: sein Namen, sein Aussehen.

Mein Bruder konnte auf Nachfragen beitragen er habe Charlie geheißen, meine Mutter er habe die Tochter des Tankstellenbesitzers geheiratet. Was das bedeuten könnte weiß ich nicht. War meiner Mutter auch nicht zu entlocken, es ist auch ungewiß welche Tankstelle es gewesen sein soll. Ich selber kann in meiner Erinnerung diese Tankstelle nirgendwohin plazieren, manchmal, wenn ich mich sehr anstrenge meine ich eine Autowerkstatt zu sehen und ein Schild welches der Wind bewegt.

Ich weiß, Charlie hat als Lackierer gearbeitet, hatte eine entsprechende Lehre gemacht, war in seinem Beruf richtig gut, war künstlerisch begabt und verstand etwas von Musik. Außerdem war er vollkommen humorlos.

Ich erinnere mich an eine perfekte Situation. Wir hörten eines Nachts unter Einfluß Musik. Zuerst Wishbone Ash, sehr freundlich, sehr eingängig, die waren gerade als Cutting Edge weil sie das Gitarrespielen neu erfunden hatten. Unter Einfluß wirkte die Musik wie eine hochpotente Süßigkeit die den Esser zwingt immer weiter zu essen.

Charlie war ein großer Freund des Schaffens von Uriah Heep und deshalb erstaunte es mich daß er so fasziniert war vom ersten Tonträger der Stooges den wir darauf auflegten. Der gefiel mir auf einer viszeralen Ebene, die Mischung von brutalem Impakt und vollkommener Albernheit kam meinen Ansprüchen sehr entgegen. Charlie, für den es der Erstkonsum war, war tief beeindruckt und konnte die Wirkung vom musikalischen her erklären. Auf mich hat die Wirkung der Musik der Stooges in den letzten 40 Jahren nicht nachgelassen.

 

Ich hatte oft über seinen Namen und sein Aussehen nachgedacht und immer nur Nieten gezogen. Aber immerhin habe ich nie vergessen daß er der Freund von Claudia "Äffchen" Müller war. Warum er das war, weiß ich nicht mehr, wie Claudia "Äffchen" Müller aussah weiß ich noch genau. In weiteren unklaren Zusammenhängen war da auch noch Karin Mühlhof in die mein Mitschüler Dieter St. verliebt war (Dieter ist später Frauenarzt geworden, weil er so gerne nackte Frauen sieht, wie er uns damals mitgeteilt hatte) und in der Erinnerung ist sie haltlos jung, so jung daß ich mir damals schon richtig alt vorkam. Immerhin hat sie aber einmal Brauchbares von sich gegeben. Nach dem Erstgenuß mächtiger psychoaktiver Substanzen äußerte sie nach Rückkunft auf Befragen wie er denn nun so gewesen sei - der mentale Ausflug:


Anfang gut, Ende schlecht.


(eine Sentenz die eine Zeitlang als eine brauchbare Formulierung in Kulmbach kursierte).

 

Aber – ich schweife ab.

Charlie war – bereits bevor ich ihn kennenlernte - vom Fieber des Psychoaktiven erfaßt worden und nahm deshalb an daß zwischen Himmel und Erde mehr sein müßte als ihn die Berufsschulweisheit träumen gelassen hatte.

Kurz entschlossen kaufte er sich einige entsprechende Fachbücher (solche die ihrerseits unter dem Einfluß des Psychoaktiven entstanden waren), strich die Wände seines Jugendzimmers schwarz und sägte die Beine seines Bettes ab.

Genauso hat er mir das erzählt, na ja das mit den Fachbüchern vielleicht etwas ausführlicher.

Das genügte seinen Eltern. Sie ließen ihn in die Psychiatrie einweisen.

Charlie nahm das stoisch hin und schrieb aus der Anstalt seinen Eltern einen Brief in welchem er sie bat ihm sein Yogabuch (eins aus der kleinen Bibliothek der weiter oben erwähnten Fachbüchern) zu schicken. Wie es scheint wurde dieser Brief von anstaltlicher Seite her geöffnet, denn es fand sich bei seiner schließlichen Entlassung diese Bemerkung in der Krankenakte:

 

"...fühlt sich als Yogi!"


Ein durchaus nach brauchbarer Spruch, dessen Einsatz allerdings sehr speziellen Situationen vorbehalten ist.

 

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