W E I S T Ü M E R
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Der zwanghafte Schieber

 

80er Jahre, Großbaustelle TU-Hauptgebäude Straße des 17. Juni

 

Unser Betrieb hatte einen Container für uns bereitgestellt. Der half uns die Pausen zu überziehen, denn so will es eines der ehernen Gesetze des Gerüstbaus: Pausen müssen überzogen werden. Ralph – genannt Ralphie, seltener Ralle – Stange, ein hochbegabter Kolonnenführer, eine Seele von Mensch, der 25 Jahre später den idealen Tod gestorben ist – Unfall, rote Ampel, Motorrad, Kurfürstendamm, selbstverschuldet - war einfallsreich, hilfsbereit und auch national gesinnt. Sicherlich hatte er auch eine gehörige Portion Abgrund in sich, sah dabei stets ein wenig aus wie ein Teddybär aus der mit Gewalttaten liebäugelt.

Das Nationale äußerste sich weniger darin daß er von der Idee eines Großdeutschland besessen war, nein, er hatte es mit Rassismus. Das ist in Kreisen der Gerüstbauer nichts Ungewöhnliches, tatsächlich arbeitete damals (in Westberlin) keiner im Gewerbe der nicht in Deutschland geboren gewesen wäre und seine Abstammung als echter Deutscher über drei Generationen zurückverfolgen konnte.

Ralphie war bereits der Baustelle Jüdisches Gemeindehaus verwiesen worden. Er hatte dort einen Sicherheitsmann ganz unschuldig gefragt ob er etwa Jude sei. Dieser bestätigte das, worauf Ralphie sagte, 'so, so ... Jude', und dabei das Wort 'Jude' tremolierend dehnte und quetschte, er wand und drehte sich dabei in einer Art seltsamen Tanz und redete sich in eine erstaunliche Rage, und wiederholte seine Feststellung - sein Gegenüber sei Jude - schaffte es durch verblüffende Modulationskunst dem Wort erstaunliche Ausdehnung und Tiefe zu geben. Seine Stimme wurde immer höher und kurz bevor er das Register des Ultraschalls erreichte sprang ihn der fassungslose Wachmann an. Ralphie wehrte sich, es gab eine kurze Rauferei... Wie solche Vorkommnisse sich eben entwickeln. Verweis von der Baustelle, siehste mal, sagte Ralphie, wie die Juden sind.

Da sitzen wir also in dem oben erwähnten Container und überziehen die Pause. Die Tür des Containers steht offen weil draußen heller Sommer ist. Die Stimmung ist friedlich, gelöst.

Die TU in Berlin war damals bereits ein Zentrum des Multikulturalismus.

Also, die Tür steht offen, und herein kommt ein dunkelhäutiger junger Mann, sicherlich ein Student, ein Pakistani, ein Inder vielleicht. Ohne Vorbereitung, ohne einen Moment zu zögern springt Ralphie auf und ergreift einen Besen. Unter Rufen:

 

"Muß fegen, muß fegen!"

 

fegt er den Boden, fegt auf den überraschten jungen Mann zu, fegt an dessen Füßen herum, fegt ihn vor sich her und fegt ihn zur Tür hinaus und ruft weiter:

 

"Muß fegen, muß fegen!"

 

Dann setzt er sich wieder, ganz ruhig und hilft uns weiter die Pause zu überziehen.

Aber:

Der nächste Tag ist wieder ein heller Sommertag, wir beschließen wieder die Pause zu überziehen (das Gesetz läßt keine Ausnahmen zu), setzen uns jedoch heute ins Freie auf Baumstämme die den Weg zum Haupteingang des Herbert-Baum-Gebäudes säumen. Ralphie pöbelt mit Standgas vor sich hin, legt ab und zu etwas nach wenn jemand dunklerer Hautfarbe an uns vorbeigeht.

Da geschieht es daß ein älterer Herr, wahrscheinlich ein Dozent, stehen bleibt, vor Ralphie hintritt, ihm mit einer geschickten Bewegung die Bierflasche aus der Hand nimmt, sie über den Kopf hebt, ohne sich mit dem Getränk zu bekleckern und bittet Ralphi möge seine Rede wiederholen weil er ihn nicht genau verstanden habe. Ralphie beginnt zu blubbern, nein, er habe nicht, und überhaupt... Der Herr bedankt sich und stellt die Flasche wieder vor Ralphie hin.

Geht weiter und läßt ein Trüppchen erstaunter Gerüstbauer zurück.

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