W E I S T Ü M E R
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Dresdener Epihanie

 

Um einen Auftrag der Dresdener Handwerkskammer abzuwickeln (Vorbereitung auf die Meisterprüfung des Gerüstbauhandwerks / Kundenauftrag/Projekt) hielt ich mich für einige Tage in der Hauptstadt des Freistaates auf. Warum dieses Bundesland sich Staat nennt und dazu Freistaat ist mir nicht mitgeteilt worden.

Sachsen erscheint mir als eine Einrichtung die auf eine nicht unangenehme Art etwas nostalgisch Versponnenes hat. Man kann sich dort relativ problemlos aufhalten, jedoch trifft man auf Schritt und Tritt kleine Merkwürdigkeiten an.

Warum das Fußballstadion, direkt neben dem Hygienemuseum (entworfen von Wilhelm Kreis einem bedeutenden Architekten jener Zeit die dann doch nicht so lange wie geplant gedauert hat) und zudem auch nahe bei der Synagoge gelegen, Glücksgas-Stadion heißen muß ist eine dieser Irritationen.

Die Autokennzeichen in Dresden sind alle vierbuchstabig. Weil – das stellt sich für mich nach längerem Nachdenken als gesichert heraus - es so vermeiden wird daß ein ewiggestriger sich das Kennzeichen DDR verpassen lassen könnte. Freistaat, genau.

 

Da ich gerade von Autokennzeichen schreibe: Der Landkreis Starnberg dessen Kennzeichen mit STA – beginnt ja da dachte ich mir die Kombination mit SI möglich sein, nicht daß dieser Landkreis den Zuzug von Menschen aus dem Beitrittsgebiet erlauben würde. Aber ein Blick in das Interent und beim zweiten Klick taucht bereits ein Foto des entsprechenden Kennzeichens auf. Wird doch einer zugeszogen sein und das Zulassungsamt spricht so eine Warnung aus.


Die HWK Dresden befindet sich in der Nähe des Haltepunktes Industriegelände, nämlich in der Straße 'Am Lagerplatz'. Gar nicht weit entfernt geht es militärisch zu, Heeresbäckereien, Kasernen, das militärische Museum ein Gebäude welchem der bekannt Architekt Libeskind eines Art metallenes Mützchen verpaßt hat. Eine kantige Konstruktion aus Stahlträgern die sich über das Gebäude hinwegzieht einem verunglückten Schiffchen nicht unähnliche, bestehend aus Stahlträgern und verkleidet – immerhin – mit Stahlblechen die auch in der Herstellung von Gerüstbelägen Verwendung finden. Was uns der Architket sagen will ist mir nicht klar, was man sagt und was er sagt füge ich hier zur Sicherheit ein:


Der Erweiterungsbau schafft eine grundlegende Neuorientierung des Gebäudes. Er gibt den Weg frei auf das historische Zentrum Dresdens. Er erhebt sich über die Dachlandschaft des Altbaus als von außen sichtbares Zeichen der Erneuerung und von innen erlebbare Öffnung zur Stadt. Der Neubau „Keil“ schneidet in den Altbau und öffnet den Raum zur Auseinandersetzung mit der Militärgeschichte und ihrer Zukunft und führt den gesellschaftlich-inhaltlichen Diskurs architektonisch fort."
Tiefe Symbolik
Der graue Metallkeil durchbricht die Symmetrie und läßt so alte Sehgewohnheiten und Deutungsmuster klassischer Ordnungen mit Zentralperspektive in einem neuen Blick betrachten.
Auch im Hofbereich sind einige sehr interessante Überschneidungen der alten Ordnung mit der Intervention des Glas- und Metallamellen-Keils entstanden.
Libeskinds gläsernes V soll Sinnbild sein für den Mut zum Aufbruch, den die Dresdner nach dem Zweiten Weltkrieg hatten. In Form eines V wurde auch der Bombenangriff am 13. Februar 1945 auf Dresden geflogen, die erste Markierungsbombe zerstörte das Stadion im Ostragehege, auf welches die Keilspitze mit einem Winkel von 40,1 % zeigt.


DNN vom 26.09.08
"Libeskind möchte nach eigenem Bekunden ein "kritisches Nachdenken über Militärgeschichte" ermöglichen und für Transparenz sorgen. Die Fassade des alten Arsenals im Norden von Dresden wird deshalb durch einen Glaskeil aufgebrochen. Der "Neubau im Altbau" schiebt sich wie ein Schiffsbug durch das Gemäuer. Dabei sind beide Gebäudeteile nicht miteinander verbunden. Zwischen alten und neuen Wänden klafft stets eine winzige Lücke. Die Architektur soll Kontinuität und Brüche in der deutschen Militärgeschichte ausdrücken."


Beleuchteter Zacken

"Kühn" wie Verteidigungsminister Struck formulierte, sei der große Zacken, der sich wie ein Keil in den bisherigen Gebäudekörper bohrt, ihn spaltet, ihn sechs oder sieben Meter überragt und am höchsten Punkt den Blick öffnet auf die "Filetstücke" Dresdens, die Frauenkirche den Zwinger und die Semperoper. Zu sehen sein wird der spektakuläre Zacken auch nachts. Er soll beleuchtet werden. Libeskind bezeichnete es als einen "Raum zum Nachdenken" und stellte klar "das ist kein militärisches sondern ein kulturelles Objekt". Der Keil verläuft zwischen den beiden alten Museumsteilen, in denen auf vier Ebenen eine Chronologie von Militärhistorie seit 1350 präsentiert werden soll. Besucher müssen beim Rundgang immer wieder den Zwischenteil passieren und werden dort mit Fragen konfrontiert wie "Warum gibt es Kriege?", "Was macht Krieg aus Menschen?" oder "Brauchen Kinder Kriegsspielzeuge?" Ausstellungsgestalterin Barbara Holzer, die für den am Entwurf beteiligten Museumsspezialisten Prof. Hans-Günter Merz arbeitet, verwies auf die große Chance, ein neues Konzept gemeinsam mit einer neuen Architektur entwickeln zu können


 

Wenn ein Architekt sagen muß was er sagen will, diese Erläuterung nicht vor den Objekten die er veranlaßt hat zu finden ist schafft das eine gewisse Unzufriedenheit man muß sich streng des Gefühls erwehren veralbert zu werden.

Gegenüber des Museums findet sich ein Edekaladen, irgendwie auf edel gemacht, wir Kunden und die Beschäftigten können dieser Absicht aber nicht gerecht werden. Wir wirken gewöhnlich in diesem absichtsvollen Ambiente. Jeden Tag shoppte ich dort Lebensmittel.

Die Ladenfläche ist von Regalen durchzogen die so hoch sind daß die benachbarten Gänge uneinsehbar bleiben, wahrscheinlich um den dort Shoppenden ein privateres datengeschütztes Shoppen zu ermöglichen.

Zwischen mir und dem letzten Gang an der Wand ragte ein solches Regal auf und da höre ich von dort herüber eine Kinderstimme.

 

"Ich brauch die Butter!"

 

ruft sie. Laut, gebieterisch und gar nicht wenig Verzweiflung manifestiert sich in diesem Ruf. Wieder:

 

"Ich brauch die Butter!"

 

Und wieder und wieder, monoton, ostinat vorgetragen mit einem Gefühl für sicheren Takt.

Schnell wechselte ich den Gang und sah eine Mutter – die trug, wie das in Dresden üblich ist, eine topmodische Brille – und tat so als beträfe sie das flehende Rufen ihres Kindes sie nicht.

 

"Ich brauch die Butter!“

 

Das Kind saß mit finsterer Miene eingeklemmt in einem Hybriden aus Einkaufswagen und Plastikhubschrauber. Die Mutter schob das Gefährt.

Was mochte es mit der Butter vorhaben? Was machte das kleine Wesen in seinem Wunsch so sicher? Auf welche Besonderheiten in der Mutter und Kind-Dyade wies diese Forderungung hin.

"Lange schallts im Edeka noch..."

Ich war bereits an der Kasse, hörte den fernen Ruf und fühlte mich an die Lurchibücher erinnert:

"Salamander lebe hoch!" nein, es ging nicht um Schuhwerk, es schallt noch:

 

"Ich brauch die Butter!"

 

Anscheinend hatte die Mutter noch nicht dem Drängen entsprochen.

Als ich den Laden verlassen wollte kam mir ein Einkaufswagen – wieder ein Hybride – geschoben von einem neutral blickenden Vater entgegen. Dieser Wagen hatte vorne einen Auswuchs der Haube und Fahrerhaus eines sportiven Cabrios darstellte. Darauf/darin saß ein kleiner Knabe und drehte begeistert an einer Vorrichtung die das Steurrad mimte. Schaute dazu selig drein, drehte mit sicheren Bewegungen an dem Rad herum, lächelte zufrieden als gäbe es auf der Welt (die Welt der Kleinen ist klein) nichts Schöneres oder Wichtigeres.

Da traf es mich, ich begriff (wie es ist).

Das sind wir, wir sind kleine Knaben, in der Hand ein Steuerrad das an die Lenkung unseres existentiellen Gefährts nicht angeschlossen ist, selig drehen wir es hierhin, dorthin und meinen so unserem Leben die Richtung zu geben, und wundern uns manchmal wie wenig Widerstand doch dieses Rad bietet.

Und hinter uns, der Einkaufswagen, den nur die Kühnsten unter uns hinter sich vermuten, die, denen das Rädchendrehen zu leicht erscheint, ein Gefäß , anfangs noch leer, bestimmt gefüllt zu werden mit dem was wir später 'Gelebt haben' nennen werden, und vor uns die langen Regalreihen auf denen Notwendiges und Tand  angeordnet ist, Regalreihen wie die Flanken von Schluchten die den Blick in die Weite uns wehren. Und wir sind es nicht selbst die den Wagen füllen, und wenn dieser gefüllt ist ist es Zeit zu gehen, an die Kasse des Lebens die der Unwissende Tod nennt.

Und angetrieben und gelenkt werden wir von der unsichtbaren Kraft die manche Vater nennen. Eins aber bleibt – zu Trost: das Rädchen vor uns.

Und: manchmal, wenn wir genau lauschen, dann hören wir – in der Ferne - hören wir eine bittende Stimme unterlegt mit einem dünnen Fundament der Verzweifelung:

 

"Ich brauch die Butter!"

 

Erschüttert verließ ich den Edekaladen, mir war als sei für einen Moment der Vorhang der das Eigentliche verbirgt beiseite gezogen worden.

Ich stieg in die Straßenbahn der Linie Acht und ließ mich zum Hauptbahnhof bringen. Dort unterhält die Deutsche Bahn eine moderne Auskunftstelle die uns Kunden durch das Labyrinth des Bahnbetriebs lotsen soll. In diese Auskunftsstelle ist eine Kaffeeausschank integriert der nicht von der DB betrieben wird.

Die Bediensteten hinter den Schaltern tragen flottgemeinte Uniformen die aber nicht verbergen können daß in ihnen gelernte Sachsen stecken, denn öffnen sie den Mund quillt dem Gegenüber das milde Schnarren des lokalen Dialekts entgegen.

Diese Uniformen, die wirken als seien sie inspiriert von denen die früher Äffchen trugen welche Drehorgelspielern assistierten, tragen sie mit Würde.

Hinter dem Schalter der für mich zuständig ist sitzen zwei Personen, eine dünnere Frau (mit nach der Landessitte gefärbten Haaren) und ein stabiler Herr.

Mein Problem – eigentlich beschieden - macht es nötig sich tief in das Vorschriftenwerk einzugraben und es kann letztlich nicht entschieden werden. Was eigentlich nichts macht, weil es nur darum geht ob ich bei meiner Fahrt nach Hause bereits eine halbe Stunde früher ankommen könnte.

Während die beiden in ihrem Computer wühlen aschweift mein Blick und bleibt auf einem Aktenordner hängen. Auf dessen Rücken steht "Fallback" ein Wort das mir nicht bekannt ist. Eigentlich lese flüssig ich Englisch und Amerikanisch aber das Wort ist mir neu deshalb kann ich nicht ausschließen daß es sich um einen einheimischen Familiennamen handeln könnte. Deshalb frage ich:

"Was lese ich denn hier" weise auf den Ordner "ist das ein Familienname Fallback" (spreche es so aus wie ich vermute daß man es auf Hochdeutsch aussprechen aussprechen würde) "oder das englische Wort Foalbäck?"

Der Stabile lächelt und sagt "Nein, nein, Fallback" (er benutzt den lokalen Dialekt, läßt sich nicht transskripieren) "ja sei halt was Modernes, käme von oben die würden es englisch aussprechen, aber hier, unter sich nenne man es nenne man es immer Fallback (wieder im Dialekt, ein wenig klingt es als handele es sich um dem Cousin von Fallbeil).

Er lächelt wieder, nach innen, weil er dort genau weiß wie sich das verhält mit oben und unten in der Welt der Arbeit,

Zuhause befrage ich das Internet (was denn sonst):

 

Rückfallebene

Rückfallebene (engl. fallback level) ist ein Begriff aus der Sicherheitstechnik und Zuverlässigkeitstheorie, der häufig in der Eisenbahndomäne und der Informationssicherheit verwendet wird.

Eine Rückfallebene repräsentiert ein Sekundärsystem, das bei Ausfall eines primären Systems einen Schutz gegenüber einer Gefährdung bietet oder den Totalausfall des Gesamtsystems verhindert, häufig unter Aufrechterhaltung einer reduzierten Betriebsqualität.


Als ich den Bahnhof verlasse blicke ich in der großen Halle nach oben. Dort hängt ein Plakat, vielleicht 6 Meter lang, drei Meter breit.

In gewaltigen Lettern steht darauf:


"Ein Konzert das Erwartungen weckt!"


Kleiner darunter wird mitgeteilt wo das Zitat herstammt, nämlich aus dem einen Zentralorgan der klugen  Wessis, der FAZ.

Das Konzert welches Erwartungen weckt war eins der sächsichen Staatskapelle.

Welche Erwartungen, denke ich mir im Weitergehen, sie mögen endlich leiser spielen, sie möchten endlich zum Schluß kommen, wenn ich ins Konzert gehe möchte ich daß meine Erwartungen erfüllt werden.

Vielleicht ist der Autor dieser Sentenz einer der rübergemacht hat aus Sachsen nach Frankfurt, denke ich mir und gebe von da an für eine gewisse Zeit meinen Gedanken ein wenig die Freiheit sich müßig zu tummeln.

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