W E I S T Ü M E R
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Das Verbotsschild

 

1955 / Kulmbach Blaich / am Rande der Natur


Es steht außer Zweifel: ich habe eine idyllische Jugend verlebt. Es gab Natur im Überfluß, die Straßen gehörten den Kindern, die Eltern machten sich wenig Sorgen um ihre Nachkommen. Wir waren die meiste Zeit in Gruppen unterwegs, die Älteren kümmerten sich rührend um die Kleinen.

Zwei Brüder stellten eine Zeitlang für mich so etwas wie eine Einzelbetreuung. Sie hatten eine Leidenschaft: gemeinsam streiften sie mit mir unermüdlich durch Wald und Flur auf der Suche nach "an Jud". Zuerst war mir unklar was da gesucht wurde.

Sie stammten aus Krumme Fohre, einem kleinen Dorf in der Nähe, wo Sitten und Gebräuche anders waren, die Uhren vielleicht auch ein wenig anders tickten. "A Jud" so stellte es sich heraus stand in Krumme Fohre für Skelett. Das – so sehe ich es heute – deutet auf abgründige Zusammenhänge hin.

Wir haben keins gefunden. Aber ich erinnere mich gerne an die Aufregung mit den Beiden unterwegs zu sein, immer im Gefühl jetzt gleich müsse der Fund gelingen.

Meine eigene Obsession wiederum war das Finden beziehungsweise das Anfertigen von Höhlen. Einmal gelang es mir meine Freunde mitzureißen und wir fingen an eine Höhle zu graben.

Ich war ja erst 6 und noch nicht in der Schule, daher ist es kein Wunder daß ich keine Ahnung vom Höhlengraben hatte. Meine Mannschaft die zwar aus älteren Kindern bestand war ebenfalls überfordert.

Wir lebten in einer Straße deren eine Seite der Natur zugewandt war, da war eine Reihe von Einfamilienhäusern, dahinter ein Hang, und dann Wälder, die sich weit erstreckten und hinter denen, ich erfuhr es später, sich andere menschliche Ansiedlungen verbargen.

Der Hang hinter den Häusern war mit ausgedehnten Feldern bedeckt, die dem Bauern Stößlein gehörten. Zwischen den Feldern, rechtwinklig zur Straße gab es grabenartige Vertiefungen die dicht mit Bäumen und Gestrüpp bewachsen waren.

Einen solche Graben nahmen wir als Ausgangspunkt für unser Projekt. Die Höhle wollte ich knapp unter der Kante des Grabens in die Wand graben, den ausgehobenen Dreck konnte man gut nach unten in die Grabensohle werfen. Wir merkten bald daß eine größere Menge Dreck (die Menge erschien uns sicher größer weil wir ja so klein waren) sehr wenig Höhle ergab. Dann stießen wir auf einen Stein. Ein Sandstein, ein größerer Klunker, eine flache Rundung mit einem Durchmesser von etwa 70 cm. Ich begann sofort zu Fantasieren daß dieser Stein der Verschluß einer Höhle sein mußte. Was denn auch sonst.

Ich besorgte Werkzeug (Hammer, Meisel, Brecheisen) und begann den Stein anzugehen.

Tatsächlich schaffte ich es einen Teil abzuspalten.

Dann griffen meine Gehilfen ein und großem Aufwand gelang es uns den Stein aus der Wand zu wuchten und in den Graben rollen zu lassen. Wir waren mächtig stolz auf uns und es dauerte gar nicht lange daß wir eine Art Grube hergestellt hatten. Uns wurde klar daß es einen Unterschied zwischen Höhle und Grube gibt.

Wir beschlossen der Grube erst einmal ein Dach zu geben. Das stellten wir aus Zweigen, Gras und Blättern her, wie Kinder das so tun.

An dem Abend waren wir immer noch mächtig stolz, gingen nach Hause mit dem Gefühl Großes geschafft zu haben.

Die Felder gehörten wie schon erwähnt dem Bauern Stößlein. Ein sehniger, wortkarger Mann der gerade dabei war mit Pferd und Pflug das Feld für die nächste Aussaat herzurichten. Von morgens früh bis abends spät zog er unermüdlich lange Furchen quer zum Hang und das Stück der an einem Tag gepflügten Erde – an seinem Glanz kenntlich – wirkte klein verglichen mit den Maßen des ganzen Feldes.

Am nächsten Tag als wir am Nachmittag unser Projekt fortsetzen wollten fanden wir in diesem einen gewaltigen Haufen menschlicher Exkremente vor.

Der stammte vom Bauern Stößlein, der wahrscheinlich dankbar war daß er nun einen Platz hatte wo er sein Geschäft unbeobachtet durchführen konnte.

Wir waren schockiert. Wir berieten was zu tun sei. Der mutigste unsere Gruppe nahm den Klappspaten und beförderte den Haufen in den Graben. Dann stach er den Spaten mehrmals in die Erde des frischgepflügten Feldes um ihn zu reinigen. Trug dann die Erde im Bereich des Haufens etwa 10 cm tief ab. Holte vom Feld (von einer anderen Stelle) frische Erde und planierte den Boden der Grube.

Aber das war nur eine Sofortmaßnahme. Wir berieten uns intensiv.

Wir beschlossen ein Schild anzubringen. Ich holte ein Stück Pappe, Format DINA4, einige Nägel, einen Stift.

Wir beraten weiter: was auf das Schild zu schreiben sei.

Unsere Auffassungen wogten, wogten hin und her. Wir einigten uns schließlich auf:

 

"AUSTRETEN VERBOTEN!"

 

und dann kam einer von uns auf den genialen Gedanken unserem Entsetzen und unserer Wut ein Ventil zu geben. Bevor das Schild an einen Baum genagelt wurde schrieben wir auf die Rückseite:

 

"SCHEISSEN AUCH!"

 

hämmerten das Schild fest und kugelten uns vor Lachen wie schlau und frech wir doch waren und es dem Bauern gegeben hatten.

Ja, eines ist noch nachzutragen. Das Schild mußte natürlich an einer günstigen Stelle plaziert werden. Die einzige Möglichkeit dafür war ein Baum der allerdings einen geringe Durchmesser hatte. Etwa 15 cm. Das Verbot hatten wir in großen Lettern unter Ausnutzung der gesamten Fläche auf das Schild geschrieben. Um es zu befestigen mußte es nun um den Stamm gebogen werden was die Lesbarkeit der Aufforderung minimierte weil es nicht möglich war sie mit einem Blick zu erfassen.

Und überhaupt: fanden wir am nächsten Tag einen neuen Haufen vor und das Schild lag abgerissen daneben.

 

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