W E I S T Ü M E R
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Zwei Söhne, zwei Mütter

 

 

Mein Schwiegeronkel Hans-Adolf(!) war unter den Geschwistern meiner Schwiegermutter der Wilde, einer der früh intensiv Eigenes betrieb. In einer Familie in der, aus welchen Gründen auch immer, Kultur und Bildung behauptet wurde, neigte er entschieden dem Handfesten und dem Abenteuer zu.

Gegen Ende des Krieges waren wegen der Bombenangriffe die 6 Kinder der Familie über Deutschland verstreut in verschiedenen Einrichtungen untergebracht. Hans-Adolf war 14 und nach Baden-Baden verschickt worden. Als er in den letzten Monaten des Krieges hörte daß seine Mutter, die in Höxter bei Verwandten untergekommen war, sich Sorgen um ihre Kinder machte, brach er zur Weserstadt auf. Die Strecke von 450 Kilometern legte er per Autostopp zurück. In Höxter angekommen erfuhr er daß seine Mutter sich vor allem um das jüngste Kind – Ilse, damals acht Jahre alt – sorgte. Hans-Adolf gekleidet in eine schneidige Winterhilfswerkuniform (schwarz, Überfallhosen, so schildert Ilse das heute) trat auf die Mutter zu und sagte er werde jetzt mal losgehen um sein Schwesterchen zu holen. Es halfen keine Einwände, Hans-Adolf reiste wieder mit Autostopp (Zivil und militärisch) in das 520 km entfernte Freiburg, fand das Schwesterchen und fuhr mit ihr zurück nach Höxter. Diesmal aber mit der Bahn.

In der Zwischenzeit hatte die Familie sich vollständig in Höxter gesammelt. Der Krieg ging nun ernsthaft seinem Ende zu, die Amerikaner rückten unaufhaltsam vor.

Kurz vor dem Eintreffen des Feindes beschloß man (der Volkssturm?) die Weserbrücke zu sprengen um den Vormarsch aufzuhalten. Hans-Adolf-Adolf, immer hilfsbereit, ein Freund der Technik und nicht geneigt ein Abenteuer auszulassen gesellte sich dazu und half die Sprengladungen an der Brücke zu befestigen. Als seine Mutter zufällig vorbeikam und Hans-Adolfbegeistert mit den Ladungen auf der Brücke herumturnen sah wollte sie ihn zur Rede stellen. Hans-Adolf musterte sie und sprach die in der Familie berühmt gewordenen Worte:

 

„Wer sind sie? Ich kenne sie nicht!“

 

Worauf die Mutter unverrichteter Dinge abziehen mußte, sie störte, die Arbeiten mußten weitergehen, weil ja so eine Brücke sich nicht von selbst sprengt.

Hinterher hat sie Hans-Adolf diesen Satz immer vorgeworfen. Gemessen an den Vorstellungen auf die sich die Familie gründete hat er es später nicht weit gebracht, abschätzig sagte man gerne: 'ach der Hans-Adolf, der ist auf Montage'. Auf Montage war Hans-Adolf weil er von Beruf Maschinenbautechniker war.

Im März 2014 treffe ich anläßlich einer Familienfeier auf die Witwe von Hans-Adolf und höre daß er später im Leben immer sehr ernst fast schon depressiv gewesen sein.

Sie erzählt eine weitere kleine Begebenheit aus seiner Jugend. Einmal sei er zur Strafe für ungebärdiges Verhalten von seiner Mutter in ein Zimmer eingesperrt worden in dem es nichts gab was zur Unterhaltung hätte dienen können. Außer eine Nähmaschine.

Hans-Adolf zerlegte das Gerät. Wurde später gezwungen die Maschine wieder zusammenzubauen. Es blieben einige Teile übrig. Jedoch versah das Gerät trozdem seine Aufgabe ohne Probleme.

 

>> (Fast Forward): Das älteste Kind dieser Familie, meine Schwiegermutter lebte nun mit eigener Familie (Mann, drei Kinder) in einer guten Wohngegend eines verträumten Vorortes von Dortmund. Meine spätere Frau, das jüngste Kind, dazu zwei ältere Brüder.

Die beiden waren, das war so in diesen idyllischen Zeiten, mit Knaben aus der Nachbarschaft befreundet, man tat das was sich so anbot in den 60er und den frühen 70er Jahren, man suchte Sinn, man sucht seinen Platz, man suchte die Konfrontation, man verstieß ein wenig gegen die Gesetze, man versuchte sich Einlaß in die künstlichen Paradiese zu verschaffen.

Man war – das fällt mir gerade auf – entschieden anders als der Onkel Hans-Adolf.

Thomas Schädle, einer dieser Knaben, der verwöhnte Sohn einer alleinerziehenden Nachbarin, nahm die Verstöße vielleicht ein wenig zu ernst. Als Halbstarker entwickelte er eine entschiedene Faszination für schwere Jungs und leichte Mädchen und entschied sich, sachte hineingleitend, für ein Leben als Kleinkrimineller. Das führte ihn weg aus dem Idyll, hin in größere Gemeinwesen die dem Kleinkriminellen mehr Möglichkeiten bieten, und schließlich gelangte er auch in Verwahranstalten.

Die Mutter starb und mein Schwiegervater wurde zum Testamentsvollstrecker ernannt. Thomas war der Alleinerbe und nach einigem Nachforschen gelang es, ihm dem Erben eine Nachricht zukommen zu lassen, er möge sich mit meinem Schwiegervater in Verbindung setzen, wegen des Nachlasses.

Und tatsächlich, Thomas ruft an und sagt (in gestelztem Ton wie überliefert wird):

 

"Ja, hallo, was muß ich hören, Mutti tot?"

 

Und setzt damit eine Möglichkeit in die Existenz wie man seine Coolness nicht aufgeben muß wenn einem eine gemischte Botschaft (zwar Alleinerbe / Mutti aber nicht mehr vorhanden) zugetragen wird.

 

 

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