W E I S T Ü M E R
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W E I S T Ü M E R

Ein gut ausgestatteter Gewalttäter

 

Kurz vor den Neunzigern, Hauptgebäude der TU in Berlin

 

Jürgen Sch. war auffällig: groß, breit, blond, jung und merkwürdig, das alles auf eine übersteigerte Weise. Er kam aus Spandau, vielleicht sind solche Erscheinungen dort etwas Alltägliches. Als bekannter Rohheitstäter mußte er häufig vor Gericht erscheinen und es gab das (von mir erfundene und verbreitete) Gerücht daß seine Akten wegen ihrer Umfangs mit einer Sackkarre in den Saal gefahren werden mußten. Was seinen Umgang mit uns in der Kolonne betraf war er auffällig zahm, relativ anstellig und fast zuverlässig.

Er hatte eine Eigenschaft die ein wenig unangenehm war. Er war mit einem ungewöhnlich großen Ziesemann ausgestattet und kannte nichts Lieberes als davon zu reden. Ziesemann hin, Ziesemann her, ob man den nicht mal sehen wolle. War er in der Nähe konnte man keine Pissoirs aufsuchen, weil immer die Gefahr bestand daß Jürgen einem nachschlich um dort eine Vorführung anzubieten. Beim Frühstück in den Kneipen bot er wieder und wieder an sein Generationsorgan herauszuholen um um es mit einer gewissen Anzahl von Zehnpfennigstücken zu belegen. Wozu das gut sein sollte konnte er nicht erklären.

Er litt daß niemand von den Kollegen sich für seinen Ziesemann interessierte. Ein anderes seiner wenigen Themen war seine Freundin und die überschwenglichen Freuden die er ihr mittels des Ziesemanns beibrachte.

Irgendeinmal brach er vor uns zusammen, fing an zu heulen und teilte uns mit seine Freundin habe ihn verlassen, er habe uns bezüglich der Freuden angeschwindelt, habe nie mit ihr Verkehr gehabt wegen der außergewöhnlichen Größe des erwähnten Organs.

Nun, was hätten wir ihm sagen sollen? Auch jetzt wollten wir uns nicht überzeugen (von den Ausmaßen).

Da waren wir also am Hauptgebäude der TU tätig und die Pause war nach dem notwendigen Überziehen  doch noch zu Ende gegangen, wir kletterten den Leitergang hoch und setzten uns oben auf die Dachkante des Gebäudes blickten versonnen in die Runde und redeten ein wenig. Jürgen hatte sich entschuldigt weil er noch telefonieren wollte.

Nach 20 Minuten hören wir in der Tiefe ein aufgeregtes Schnaufen. Es kommt näher, es ist Jürgen. Er wuchtet sich aus dem Leitergang auf die letzte Lage, richtet sich auf, hebt die Hand, dreht die Handfläche nach unten und weist uns die Knöchel. Die Knöchel sind blutig.

 

"Ich hab ihn gehauen!"


sagt er und reißt die wasserblauen Augen auf, Augen die aus dem suppenterrinengroßen Gesicht schauen, fassungslos.

Auf unser Fragen erzählt er da sei ein Student vor ihm in der Telefonzelle gewesen und der habe telefoniert und als er fertig gewesen sei habe er noch mal telefoniert und als er Jürgen deshalb an die Tür klopfte habe jener ein Notizbuch aus der Tasche gezogen, darauf gezeigt und mit dem Kopf geschüttelt.

Worauf er ihn gehauen habe. Wir wissen nicht was wir erwidern oder tun sollen und fangen deshalb an zu arbeiten.

Nach einer halben Stunde entsteigen zwei Polizisten dem Leitergang. Sie teilen Jürgen mit der Gehauene habe ihn angezeigt. Jürgen wendet ihnen sein großes blondes Gesicht zu. Das Gesicht wirkt so als würde dahinter auf angestrengteste nachgedacht. Es ist still, die Sonne scheint unparteiisch auf uns und die Polizei herab. Wir haben kollegial die Arbeit eingestellt. Plötzlich sagt Jürgen:

 

"Dann... Ich zeige ihn auch an!"


Die Polizisten kontern geschickt und fragen weswegen er ihn anzeigen wolle. Jürgen schaut sie leer an und wieder setzt Stille ein.

Ich kann die Stille nicht ertragen und deute auf Jürgens Hand, führe meine zum Mund (meinen) und lasse die Knöchel (meine) darin verschwinden, mache mit der Kinnlade nagende Bewegungen. Jürgen nickt und sagt, die Augen weit, weit aufgerissen, sein Blick unter dem Dach der semmelblonden Haare ist undeutbar, vielleicht ein ganz klein wenig triumphierend, er reckt die blutigen Knöchel (seine) gegen die Vertreter des Gesetzes:

 

"Er hat mich gebissen!"


Wie das ganze ausgegangen ist weiß ich nicht mehr.

 

 

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