W E I S T Ü M E R
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Die Drohkulissen

 

Da gibt es in Spandau in einem Industrieviertel, ganz in der Nähe eines schwedischen Möbelhauses, eine Niederlassung einer großen Organisation, die sich hauptsächlich mit der Verkehrssicherheit von motorgetriebenen Fahrzeugen beschäftigt. Sie – die Organisation - ist aber auch in der Weiterbildung, Schulung, Beratung tätig, immer vorne in der HKL (Hauptkampflinie) des steten Kampfes die Welt noch besser zumachen.

Spandau – ein Bezirk von Berlin – hat sich die Essenz und den Charme des alten Westberlin erhalten. Dort werden immer noch diese alten Ideale in Ehren gehalten.

Die Belegschaft dieser Niederlassung einschließlich der Leitung war vorher in einem längst abgewickelten Stahlwerk in der Nähe von Berlin tätig gewesen. Das lag in dem Teil unseres Vaterlandes der dem anderen Teil beigetreten ist. Wie sich das ergeben hat – die Migration Stahlwerk nach Spandau - habe ich nie erfahren können.

Diese Gemeinschaft war – so schien es - ausreichend tauglich für den wirtschaftlich erfolgreichen Betrieb dieser Niederlassung, und im ganzen waren sie durchaus verträglich und sympathisch. Es gab in dieser Schar auch zwei oder drei Personen die beeindruckend waren. Allesamt waren sie – jeder auf seine Weise – Dialektiker, mehr oder weniger gewieft. Das kann man ja von den Menschen aus dem Beitrittsgebiet erwarten.

Nun ergab es sich daß die Organisation eine Maßnahme auftat die eine Truppe von Sozialhilfeempfängern (die meisten aus dem Westen, und der Großteil von denen wiederum aus Spandau) zum Lehrabschluß im Gerüstbaugewerbe führen sollte.

Ich selbst bin dem Gewerbe unwiderruflich verhaftet und kenne die Klientel genau. Ich weiß welch schwieriges Geschäft eine solche Maßnahme ist. Auch war mir die wirtschaftliche Seite des Vorhabens vertraut (andere Auftraggeber hatten mich umfassend aufgeklärt, wahrscheinlich weil sie dachten das damit zusammenhängende Leid zu teilen, würde ihres halbieren).

Das Geheimnis solcher Maßnahmen besteht darin daß man sie mindestens mit der Hälfte der ursprünglichen Teilnehmer beenden muß. Das klappt manchmal, wenn nicht hält man die Teilnehmer so lange es geht (mit allen Mitteln) und läßt sie nach einer ziemlich komplizierten Rechnung gegen Schluß der Maßnahme (im letzten Viertel etwa) gehen. Das hat den Vorteil daß man mit weniger Teilnehmern in die Abschlußprüfung geht die, wenn man im Prüfungsausschuß keine Hausmacht hat, als externe Teilnehmer wenig Chancen haben.

Denn: der Vorsitzende der Prüfungskommission für den Gerüstbau ist Gestapo-Mike (so von den Berufsschülern genannt, seines Vintage-Ledermantels wegen) und Mike kann es ums Verrecken nicht ab wenn jemand nicht in seine Berufsschule geht.

Sonst zahlt der Veranstalter drauf. Die öffentliche Hand die solche Unternehmungen finanziert bezahlt nur solange der Teilnehmer noch im Vertrag ist.

Der Verantwortliche für den Kurs war das, was man eine ehrliche Haut nennt, bieder bis ins Mark, ausgestattet mit einem aufrichtigen Händedruck.

Gleich zu Beginn sagte er mir daß wir keine Frechheiten seitens der Teilnehmer, Frechheiten jeglicher Art, dulden würden, Verspätungen, Fehlzeiten, Minderleistung, alles würde genau dokumentiert, Verstöße jeder Art notiert, und es gäbe zwei Verwarnungen, beim dritten Vorfall werde der entsprechende Teilnehmer aus dem Kurs entfernt. Rücksichtslos!

Ich warnte. Redete, wie ich es gern tue, vom Primat des Wirtschaftlichen an das wir als Marxisten (ich schloß mein Gegenüber mit ein) unverrückbar glaubten.

Ich erntete einen irritierten Blick.

Darauf schlug ich vor das sogenannte kreative Wegsehen, ein unverzichtbares Werkzeug des aufgeklärten Pädagogen, einzusetzen, in Verbund mit dem Frisieren der Anwesensheitslisten und des Klassenbuchs.

Mitleidiges Kopfschütteln, man sei eine würdige Organisation und überdies gerade dabei sich zertifizieren zu lassen.

Oh, Oh, sagte ich weil ich das monströse Vorhaben schon bei anderen Anbietern erlebt hatte und wußte daß es die Beteiligten bis an den Rand des Zumutbaren und darüber hinaus führt.

Der Kurs begann. Tatsächlich: man hatte 24 Teilnehmer aufgetrieben.

Das übliche, Freigänger, Alkoholiker (sehr gut vertreten), Hilflose, die vom Amt in die Maßnahme gedrängt worden waren.

Die Trinkfreudigen fanden gleich neben der Niederlassung einen Imbiß und begannen dort regelmäßig ihre Pausen zu verbringen, wobei diese immer länger wurden.

Ich wurde beim Veranstalter vorstellig. Wie der Plan sei mit den schweren Trinkern umzugehen. Ich erfuhr einen solche Plan gäbe es nicht, sei auch gar nicht notwendig, weil das Amt versichert habe, es seien keine Trinker unter den Teilnehmern.

Zwei Teilnehmer haben mich besonders beeindruckt: einer, ein A-Klassentrinker der sich bereits am zweiten Tag den Übernamen 'Warsteiner' verdient hatte, kam in der zweiten Woche einmal um 14:30 zum Kurs (Kurs endete täglich um 15:00), stellte sich in Positur und sagte vorwurfsvoll:

 

"Was, ihr habt schon ohne mich angefangen!?"

 

Ein anderer wurde vom Dealer zum Gerüstbauer umgeschult. Er hatte in seinem Erstberuf wohl zu sehr an seinen Waren genascht und war deshalb eine Zeitlang in der Psychiatrie gewesen. Er kam gerne morgens etwas zu spät, blinzelte uns tückisch an und sagte:

 

"Ich weiß genau, ihr habt über mich geredet!"

 

Nach einigen solchen Auftritten machte ich es mir zur Angewohnheit ihn, noch bevor er sein Sprüchlein aufsagen konnte, zu informieren daß wir über ihn geredet hätten. Er nahm das nicht krumm, und eigentlich war er eine brauchbare Figur. Außerdem bildete er mich weiter, was den aufreibenden Beruf des Dealers betrifft.

Wie ich es vorhergesehen hatte lichteten sich die Reihen schnell. Einige verschwanden von selbst, andere begingen Verfehlungen und wurden bei der dritten Verfehlung ihrem angekündigten Schicksal zugeführt, noch andere fehlten, fehlten, fehlten. (Entschuldigt)

Nach vier Monaten (der Kurs sollte 12 Monate dauern) waren wir dem Break-Even-Point bedenklich nahegekommen.

Das führte zu Umdeutungen in den Verwarnungen:

Nach der 2. Verwarnung kam nicht der Rausschmiß sondern eine 3. Verwarnung

 

Danach gab es die "Letzte Verwarnung, aber jetzt meine ich es wirklich"


Danach "Letzte Verwarnung mit Gespräch beim Sozialarbeiter"


Danach "Allerletzte Verwarnung mit Gespräch bei der Niederlassungsleiterin!"


Das war Trixi (so wurde sie von den Kollegen angesprochen).

Das alles half nur bedingt denn der Westberliner Sozialhilfeempfänger ist klug und kann sich immer einen Reim machen. Die Teilnehmer wußten, daß sie am längeren Hebel saßen. Daß sie es waren von denen die Arbeitsplätze der Belegschaft der Niederlassung abhingen.

Schließlich – das Jahr ging zur Neige – kam weil alles nicht recht geholfen hatte der Meisterstreich: zum Jahresschluß wurde allgemeine Amnestie gegeben. Die Verwarnungen wurden gestrichen, das neue Jahr konnte von den restlichen Teilnehmern mit einer blütenweißen Akte begonnen werden.

Und so schleppte sich die Veranstaltung agonisch weiter, immer weiter ihrem gewissen Ende entgegen.

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