W E I S T Ü M E R
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Erinnerung an einen Kaufvorgang

 

Nein, Erinnerungen plagen nicht, sie sind ein mehr oder minder korrektes Abbild von Vergangenem, und Bestandteil des Textes der man ist.

Aber, manchmal fragt man sich warum gewisse Erinnerungen so ausdauernd sind, warum sie nicht weichen wollen, wieder und wieder auf der Bühne des gegenwärtigen Denkens erscheinen . Erinnerungen sind das deren Wert und Wichtigkeit nicht in den Inhalten besteht (soweit man es überblicken kann) sondern in ihrer Dauerhaftigkeit und ihrer Weigerung dem Vergessen anheim zu fallen.

Ich bin unfähig in Tonträger hineinzuhören, verschiedene Tracks anzuspielen um so zu einer Kaufentscheidung zu gelangen.

Ich bin auf externe Informationen angewiesen, notfalls reicht der Namen der Performer.

Beispielweise muß eine Gruppe die Velvet Underground heißt eine phantastische Musik abliefern, Jason and the Scorchers, der Name bürgt für akustischen Hochgenuß. Beatles, hört sich an wie putzige Haustiere, wie soll da das akustische groß anders sein

Ich schweife ab...

Weil ich schon dabei bin (beim Abschweifen) sitze ich auch Täuschungen auf. Galaxie 500, ein Name der viel verspricht, Wege ins kosmische andeutet, und später, wenn es zu spät ist, wenn eine Bindung an die Musik hergestellt ist, stellt sich heraus daß mit Galaxie 500 ein fürchterliches Auto gemeint ist was der Gruppe als Transportmittel diente.

Also gut: es ist 1968 (so ungefähr) Kulmbach hat sich gegen das Zetern der kleinen Handeltreibenden ein Kaufhaus geleistet. Es heißt KDM (Kaufhaus der Mitte), viel, viel später (heute) erfahre ich daß es für die Zeit (und diesen Ort) ein architektonisches Wunder war. Hochmodern, verglaste Fassaden, Räume weitgehend stützenfrei, entfesselte Architektur aus der Region.

Allerdings bewirkten die Bauarbeiten daß ein nahegelegener Berg in Rutschen kam. Der mußte aufwendigen Maßnahmen gesichert werden, weil er nur darauf wartete die Altstadt unter sich zu begraben.

Wie berichtet wird funktionierte das KDM anfangs gut, die Kulmbacher waren begeistert. In der Altstadt wirkte der Klotz wie ein Fremdkörper aber Kulmbach hat damit keine Probleme.

Ich sitze im Restaurant des Kaufhauses – warum gerade dort ist mir nicht mehr erinnerlich – und trinke Bier. (das Glas kühl und beschlagen und ich meine man schenkte dort Sandler-Bier aus, Bier der Brauerei die mir von den vieren meiner Heimatstadt am wenigsten schmeckte. Ich glaube ich fühlte mich manchmal verpflichtet gegen meine Gefühle anzutrinken, in der Vorstellung ich sei dieser Brauerei für ihre Bemühungen nebelhaft etwas schuldig.

Ich bin allein, ich bin in der letzten Klasse der Bubenoberschule, bald schreite ich zum Abitur.

Von meinem Platz aus kann ich die Schallplattenabteilung einsehen. Das hängt mit der modernen Raumeinteilung des Gebäudes zusammen.

Die Schallplattenabteilung befindet sich direkt neben einem untergeordneten Treppenhaus. Da kommt Helmut Laukner diese Treppe herauf, betritt die Schallplattenabteilung geht stracks auf die Auslagen zu, blättert kurz, zielsicher und zieht heraus:

In-A-gadda-da-vida von Iron Butterfly

(nebenbei bemerkt ein Name der mich nicht anrührt)

Helmut läßt sich die fragliche Platte auflegen. Zieht den Kopfhören über die Ohren. Und hört zwei Minuten lang, worauf er die Platte kauft.

Ich bin schockiert. Helmut hat bemerkt daß ich ihn beobachtet habe. Er wendet sich, schaut mich direkt an und nickt mir zu als wolle er signalisieren alles sei in Ordnung und genauso müsse es sein, so liefe Langspielplattenkauf ab..

Er geht. Ich bleibe zurück und bin aufgewühlt. Bin ich Zeuge von etwas geworden was nicht für mich bestimmt war? Bin ich eingedrungen in einen hochgradig privaten Vorgang?

Anscheinend bin ich bis heute (45 Jahre später) nicht im Reinen mit mir was das Erlebnis betrifft. Deshalb denke ich will diese Erinnerung nicht weichen. Das Niederschreiben schafft keine Klarheit, ich staune daß es solch bescheidene Abgründe gibt.

Ergänzung: beim Recherchieren für diese Niederschrift Text fand ich eine Website betrieben von einer Gruppe junger Schüler (und Schülerinnen) – 10. Klasse vielleicht – die sich das KDM und die Zukunft des leerstehenden Gebäudes als Thema eines schulischen Projektes genommen hatten. Zum Schluß ihrer Dokumentation interviewen sie den Bürgermeister von Kulmbach, einen braven Mann – gebürtig aus dem Frankenwald, dort wo die Geburtenhäufigkeit deutlich mit der Schneehasenbrunft (Peak 9 Monate später) korreliert.

Dieser Bürgermeister ist der selbstverkündete Schutzpatron der kleinen Gewerbetreibenden von Kulmbach, die sich bedroht fühlen von lokalen Konsumtouristen die aus ihrem Heimatstädtchen wegfahren um anderswo zu shoppen.

Die jungen Menschen fragen zum Schluß ihres Interviews den Bürgermeister wo er den Anzug, der ihn verhüllt, denn her habe.

Ja, sagt er, den habe ihm seine Frau aus München mitgebracht.

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