W E I S T Ü M E R
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Kind & Kultur

 

Bis vor kurzem war ich nur bedingt in Düsseldorf gewesen. Bedingt heißt daß ich undeutliche Erinnerungen an meine Anwesenheit in der Vergangenheit habe. Damals war ich weitergebildet worden, zum "geprüften Gerüstbau Kolonnenführer". Untergebracht in Grevenbroich, wurden wir jeden Tag mit einem Bus nach Düsseldorf gebracht wo die Maßnahme stattfand.

Ich ging in jeder Mitagspause zum Südfriedhof, besorgte mir auf dem Weg dorthin zwei Flaschen Bier (Königs-Pilsner), die ich beim Stromern durch die Gräberreihe trank. Ich besuchte jedesmal auch die Behindertentoilette, weil die nie benutzt wurde, weil sie geräumig und übermäßig sauber war. Die Gerätschaften aus blinkenden Edelstahl sahen für mich so aus als könnte man daran turnen, sie hatten etwas unbedingt Sinnhaftes.

Das ist schon lange her und wenn ich daran denke kann ich es nicht ausschließen daß der eine oder der andere mein Verhalten sonderbar finden könnte.

2014 (30 Jahre später), anläßlich eines Besuchs in Dortmund bei meinem Schwiegervater ergab sich die Möglichkeit einen Ausflug nach Düsseldorf durchzuführen.

Weil mein Schwiegervater nicht mehr wirklich jung ist durfte ich auf der Hinfahrt das Lenkrad bedienen. Ich bin, zugegeben, kein begnadeter Autofahrer.

Es stellte sich heraus daß mein Lieblingsarchitekt – Wilhelm Kreis – eine ganze Anzahl Werke in Düsseldorf ausgeführt hat, unter anderem auch ein Museum (Kunstpalast), eine sogenannte Tonhalle und ein Gebäudeensemble am Rheinufer (Rheinterrassen). Diese Gebäude im Zusam- menhang zu sehen verschaffte mir ein gewaltiges Behagen.

Weil ich auf der Hinfahrt nicht besonders gut gefahren war, wollte mein Schwiegervater die Rückfahrt übernehmen. War mir recht.

Also, wir steigen ein, er fährt los und schwupp sind wir schon in der falschen Richtung unterwegs und zwar in die transrheinische.

Heinz (mein Schwiegervater) sagte in dieser Häuseransammlung (Oberkassel?) habe der Sohn seines Parteigenossen (SPD) ein Haus gekauft.

Heinz war früher Wirtschaftsprüfer, sein Parteigenosse Direktor bei ThyssenKrupp. Er war auch eine Art Nachbar, hatte mitgeholfen die Brasiliengeschäfte des Konzerns in die Richtung laufen zu lassen wo sie dann hingelaufen sind. Dafür hatte man ihn vorzeitig pensioniert.

Ich kenne ihn schon lange, er ist groß, ist ungefüge, und wirkt harmlos. Durch ihn habe ich viel gelernt, was die Welt da draußen betrifft. Ich hatte immer schon vermutet, daß die eine sonder- bare Veranstaltung ist. Die Bekanntschaft hat die Vermutung nicht entkräftet.

Der Pensionär ist mit einer handfesten Volksschullehrerin verheiratet, von der man sich erzählt, sie würde nicht in Dortmund, sondern in Münster oder Paderborn shoppen.

Was das zu bedeuten hat weiß ich nicht.

Mein Schwiegervater ist wegen einer Zirbeldrüsenamputation bei einem Hormonologen in Behandlung. Er muß sich regelmäßig Testosteroncreme auf die Brust streichen, was ihm eine erhöhte Lebhaftigkeit verschafft. Wenn der Strang Salbe ein wenig zu lang ist, was aus Versehen geschieht oder weil ihn der Hafer sticht, steigert sich diese Lebhaftigkeit erstaunlich ins Lärmig-Laute.

Diese Salbe nennt man im Familekt Krawallkrem.

Wir fahren also in der falschen Richtung über den Rhein. Das Haus des Sohnes (erfolgreicher Rechtsanwalt) habe € 900.000 gekostet. Die Stimmlage meines Schwiegervaters deutet subtil nebelhafte Kritik an. Vielleicht ist es ein Effekt der Krawallkrem.

Ich nicke neutral. Und, sagt Heinz, die Frau des Anwalts habe noch € 500.000 gebraucht um das Haus entsprechend einzurichten.

Na ja, sage ich gutmütig, vielleicht haben sie dieses Geld verbraucht um sich so einzurichten daß sie abends bei einer guten Flasche Wein kultivierte bzw. kulturell hochstehende Gespräche führen können.

Von diesem Gedanken bin ich besessen, weil vor etwa 40 Jahren unser Studienkollege Bernd Schnarr diesen Entwurf – es ist abends, eine gute Flasche Wein steht auf dem Tisch die Freunde kommen – in die Welt gesetzt hat. Immerhin war Bernd damals schon klar daß dieses Konzept nie und nimmer aufgeht. Zumindest nicht für uns, wer wir immer auch sein mögen.

Mein Schwiegervater fängt an rätselhafte Fahrmanöver durchzuführen. Er biegt von der Haupt-straße ab und fährt in enge Wohnstraßen.

Ich denke vielleicht will er uns das Haus zeigen.

Er sagt, immer noch in diesem Tonfall, Kultur... da könne er etwas beitragen.

Die Volksschullehrerin habe folgendes erzählt:

Sie und der Pensionär seien zu einem Abendessen eingeladen gewesen. In dem besagten Haus. Und sie habe versucht, mittels einer Gabel, sich von einem Servierteller eine Scheibe Wurst zu angeln. Was ihr trotz mehrerer Versuche nicht gelang.

Beobachtet wurde sie dabei von dem Enkelkind, ein Mädchen, vier oder fünf Jahre alt.

"Was machst du denn da Oma?" fragte das Kind neugierig.

"Ich versuche mir eine Scheibe Wurst zu nehmen!" die Oma.

"Aber das macht man doch nicht so!" das Kind

"Und wie macht man es denn?" die Oma.

"So" sagte das Kind, beugte sich über den Tisch, nahm eine Scheibe Wurst (mit den Fingern) und legte sie der Großmutter auf den Teller.

Ich denke häufig über diese Geschichte/Geschichten nach. Ob da jemand versucht jemanden vorzuführen, aber, wer wen, das bleibt für mich zu ergründen.

Immerhin hat Heinz die Hauptstraße wieder erreicht wir fahren wieder über den Rhein, er fährt in die Innenstadt, immerhin sehe in noch weitere Gebäude die von Kreis erbaut worden sind, und die sog. Königsallee erinnert mich sehr an manche Straßen in Manhattan.

Es stellt sich heraus daß wir nicht festgelegt haben wo wir hinfahren wollen, wir überreden Heinz daß wir zurück nach Dortmund wollen, er gibt nach und wir schaffen es noch uns in den Freitagnachmittagstau einzureihen.

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© HeinzMünch/µ